Vor fast genau einem Jahr habe ich diesen Blog gestartet, da ich einerseits mit der medialen Berichterstattung gewisser Themen unzufrieden war und andererseits noch stärker meine Verantwortung als rational denkendes Wesen in einem Wohlstandsland, das eigentlich noch viel mehr zum Fortschritt der Gesellschaft und der „geistigen Evolution“ im Allgemeinen beitragen könnte (und sollte), wahrnehmen wollte. Am 16. August 2015 tippte ich also die Zeilen „Fuck Converse“ in die Titelspalte des ersten Beitrags; denn es schadet nie mit einem Paukenschlag zu beginnen und bereits die intendierte Richtung des Blogs vorzugeben. Zudem ist es einfacher und uninteressanter ein schleimiger Arschkriecher zu sein, als sich stilvoll unbeliebt zu machen (unbeliebt macht man sich ja in der Epoche der Social-Media-Wutbürger sowieso immer – wohl selbst mit niedlichen Katzenvideos [bei Haustier-Puristen oder Katzen-Rassisten]).
Diesen etwas vulgären Beginn in das neue Blog-Jahr wollte ich deshalb beibehalten und habe mir überlegt, welche Dinge denn auch das Prädikat „Fuck“ verdienen würden. Die Suche erwies sich als schwierig, obschon einige Vorschläge bereits im ersten Artikel als potenzielle Themen erwähnt wurden (die meisten schienen jedoch bereits zu „abgefucked“; Starbucks, Mc Donald's oder die UBS sind Marken mit zu offenkundigen Angriffsflächen, weshalb deren Kritik beinahe als anti-kapitalistischer Konformismus gedeutet werden könnte). Welche Angelegenheit schien also sowohl inhaltlich kontrovers wie auch vom Titel her interessant genug? Fuck Pornos. Denn: Einerseits klingt der Titel recht kryptisch, weil er eine Art Pleonasmus beinhaltet. Schliesslich gibt es üblicherweise keinen Porno ohne irgendeine Form von „Fucking“. Und andererseits leben wir zwar in einer übersexualisierten Welt, aber über Pornos sprechen wir trotzdem praktisch kaum (obwohl so ziemlich jeder – hier ausdrücklich in männlicher Form belassen – solche Videos schaut und sie unbestritten unsere Gesellschaft prägend beeinflussen). Wieso eigentlich nicht? In erster Linie hat dies wohl damit zu tun, dass sie unsere tiefsten (sexuellen) Wünsche und eben auch Abgründe offenbaren. Dieser Abstieg in die düsteren Kellergewölbe des Unterbewusstseins macht womöglich sogar uns selbst manchmal Angst, weshalb wir selber nicht gerne dort unten vorbeischauen – auch wenn es einigen Leuten dort unten schon die eine oder andere Sicherung rausgehauen hat, welche man eigentlich ersetzen sollte. Und bevor jetzt alle in heuchlerischer Pose aufschreien, dass sie dort unten garantiert keine Leichen begraben haben (hoffentlich keine wortwörtlichen, obwohl man im Internet wahrscheinlich auch dergleichen finden könnte), empfehle ich euch, jetzt einfach mal einen kurzen Abstecher auf eine beliebige Pornoseite zu machen – egal ob YouPorn, Pornhub, Eskimotube (gibt's anscheinend wirklich) oder xHamster (inwiefern ein Hamster mit Sexualität zu tun hat, weiss ich leider auch nicht). Bei eurem Ausflug werdet ihr womöglich Überschriften wie „19yo redhead beauty rammed hard and rough“, „Filthy blonde slut has double deep penetration“ oder „EvilAngel Horny Teens deep Anal Fuck“ begegnet sein (alles übrigens Originaltitel, die mir beim Schreiben dieses Artikels auf „xHamster“ unter den ersten zehn vorgeschlagenen Videos präsentiert wurden). Klar werden jetzt die Pornografie-Verfechter sagen, dass dies halt typisch für den sprachlichen Duktus der Porno-Industrie sei; dass viele (Gangsta-)Rap-Texte ja schliesslich auch unter die Gürtellinie gehen würden. Aber sind diese Aussagen wirklich noch im Bereich der Normalität? Und müssen wir überhaupt etwas akzeptieren, nur weil es normal geworden ist (übrigens auch im Bereich der Rap-Musik)? Fakt ist, dass das Frauenbild im pornografischen Kontext meistens miserabel dargestellt wird. Egal ob offensichtlich durch Worte wie „Slut“ oder deren Rolle als zu dominierendes Objekt („rammed hard and rough“; beide s.o.). Diese Erniedrigung der Frau als sexuelles, minderwertiges Objekt nimmt teilweise übelste Ausmasse an, so dass man den Eindruck kriegt, man spreche hier gar nicht mehr von einem fühlenden Lebewesen, ja nicht mal mehr von einem (geschätzten) Gegenstand, sondern von wertlosem Abfall (wie gesagt, klickt euch lange genug durch die Porno-Titel und ihr landet früher oder später selbst bei solchen undenkbaren Titeln, die Frauen als "Trash" bezeichnen). Dazu gesellen sich versteckter Rassismus durch Erniedrigung von Frauen anderer Ethnien (ebenfalls unter den Vorschlägen von xHamster: Asian Street Meat) sowie eine Vielzahl an Gewaltfantasien, die die Grenze zum guten Geschmack längst hinter sich gebracht haben. Wieso also greift niemand ein? Wo ist der Zensur-Button - und zwar nicht jener, weil man „zu viel“ sieht (das ist genauso wenig das Problem wie einzelne Fluchwörter in Rap-Songs), sondern weil es sexistische, rassistische oder gewalttätige Inhalte hat, die strafrechtlich durchaus relevant wären oder zumindest sein sollten? Die Idee mit der Zensur solcher Inhalte wird sicherlich dadurch erschwert, dass die Grenzen zwischen sexueller Freiheit und juristischem Strafbestand ziemlich fliessend sind (die Frage bleibt allerdings im Raum stehen, ob das Einverständnis einer Pornodarstellerin, sich beispielsweise würgen und schlagen zu lassen, wirklich von Entscheidungsfreiheit zeugt, oder ob man nicht einfach durch finanziellen, externen oder sonstigen Druck sein Einverständnis gibt - wir alle unterschreiben ja gelegentlich Sachen oder akzeptieren AGBs, ohne dass wir dies wirklich wollen). Das Problem an der Industrie ist zudem ja gerade, dass das ganze Image sexistisch und anti-feministisch (obwohl Pornoseiten ja kaum politisch sind) aufgeladen ist. Gut möglich also, dass man bei einer Kontrolle einen Drittel aller Pornos löschen müsste. Oder noch mehr. (Übrigens würde man bei aktuellen Musikvideos wohl zu einem ähnlichen Fazit kommen; es lebe der etablierte Sexismus!) Ein weiteres Problem dabei ist, dass wir es in der Porno-Welt mit einer Art unbeaufsichtigten Spielplatz von Männerfantasien zu tun haben. Vielleicht gibt es Videos, die selbst gegen irgendwelche internen Regeln der Websites verstossen, aber wer soll denn bitte die Aufsichtsperson sein? Wie in anderen Bereichen, wenn zu viele Männer in einem mehr oder weniger abgekapselten Raum aufeinandertreffen (bspw. im Militär), spornt man sich gegenseitig bis zum unausweichlichen Turning Point an, wo manche schlichtweg ihre Grenzen nicht mehr spüren. So erstaunt es nicht, dass vor einiger Zeit Filmaufnahmen publik gemacht wurden, auf welchen unterschiedliche Bruderschaften, bestehend aus US-amerikanischen College-Studenten, durch die Strassen zogen und sangen: „No means yes, yes means anal!“ Sicherlich kann man solche Parolen nicht bloss auf den Pornokonsum (junger) Männer zurückführen, aber es scheint signifikant, dass jener solche Haltungen begünstigt. Denn nicht alle Besucher von Internetseiten mit pornografischen Inhalten können diese Art von gespielter Fiktion abstrahieren und die aufpolierte, sexuelle Parallelwelt dahinter sehen. Und die Zahl dieser Personen ist vermutlich weit grösser als viele von uns annehmen. Besonders im Bereich der Adoleszenz scheint mir diese sexuelle Mündigkeit selten gegeben. Dass Pornos die Jugendlichen weder aufklären können, noch zu dieser Maturität führen, liegt auf der Hand (ausser man füge allen Videos einen optionalen Off-Kommentar hinzu, der die gezeigte Handlung erläutert - der akustische Tod der Libido). Eltern wie auch die Schule tun sich hingegen immer noch schwer mit dem Anpacken dieses Problemherdes. Verständlicherweise. Denn wer möchte schon zuhause oder im Unterricht über Analsex und Deep Throats sprechen? Zum Glück gibt's immer mehr externe Organisationen, die sich diesen unbequemen Themen annehmen und gewisse erotische Inhalte in einen grösseren Zusammenhang stellen oder relativieren können. Und dennoch: Diese Bilder brennen sich in unser Gedächtnis hinein und lassen sich nicht so leicht wieder löschen. Im Gegensatz zu Bildern von Autounfällen, Terrorismusattentaten oder Holocaust-Opfern, welche üblicherweise bei gesundem Verstand nur Ekel auslösen sollten, scheinen diese sexuellen Bilder allerdings auf die meisten Männer eine stärkere Faszination auszuüben, weshalb wir uns langsam an diese Welt der psychischen Abgründe herantasten – und leider auch Schritt für Schritt daran gewöhnen. In der Serie "South Park" wird dies herrlich dargestellt, wenn Randy – der Vater eines in einer amerikanischen Vorstadt lebenden Jungen – durch den Pornokonsum mehr und mehr abstumpft, so dass er immer speziellere Sexualpräferenzen entwickelt. Diese obskuren, überspitzten Fantasien sind natürlich sehr harmlos und unterhaltsam. In der Realität sehen wir indes eine Wandlung vom klassischen Akt in der Missionarsstellung nicht nur zur generellen Abwertung des weiblichen Geschlechts, sondern auch zur spezifischen Ausbeutung von in Armut lebenden Frauen, die sich für Geld vor der Kamera diskriminieren lassen, oder von Frauen, die durch Drogen oder andere perfide Strategien zu Sex verführt werden (und anschliessend teilweise gar als Teil- oder Gesamtschuldige betrachtet werden, obwohl sie schlichtweg Opfer sexueller Gewalt geworden sind). Versteht mich nicht falsch: Ich möchte weder den einseitigen Schwarzmaler markieren, noch die Porno-Industrie per se verteufeln – immerhin bereiten diese Art von Filme ja zahlreichen Menschen Freude und wohl auch eine gewisse Form von Erleichterung (man stelle sich eine Welt vor, wo alle Typen dauerspitz und Testosteron-aufgeladen herumspazieren). Trotzdem kann die Lösung nicht einfach heissen, dass wir nicht hinschauen und die Probleme unter den Teppich kehren – denn der Brand ist da und er wird zumindest nicht kleiner. Ausserdem verbrennen sich nicht nur zahlreiche Frauen und – im weiteren Sinne – unsere Gesellschaft an diesem Feuer, sondern auch eine besondere Berufsgruppe: Die Prostituierten. In diversen Studien, so zum Beispiel in dem 2015 veröffentlichten „Journal of Interpersonal Violence“ zeigt sich eine Zunahme von frauenfeindlichen, empathielosen und gewaltverherrlichenden Verhaltensmuster bei Freiern. Auch das effektive gewalttätige Sexualverhalten hat zugenommen, wie aus der Studie hervorgeht; so dass Prostituierte vermehrt von Schlägen und Tritten oder dem Wunsch der Freier nach ungewollten Sexualpraktiken wie Sex ohne Kondom, Analsex oder sonstigen sexuellen Erniedrigungen berichten - und diesem Druck leider häufig auch nachgeben. Es liegt auf der Hand, dass der Konsum von Pornografie dafür mitverantwortlich gemacht werden muss und dass durch die gezeigten Bilder auch ein Markt entsteht, wo dieses Anschauungsmaterial umgesetzt werden möchte. Unsere Faszination für Pornografie hat jedoch nicht nur einen starken Einfluss auf das gesellschaftliche Leben in unseren Breitengraden. Wenn wir in Westeuropa nämlich mal wieder über Kopftuch-tragende Muslimas und deren unterdrückte Sexualität lästern, sollten wir zuerst mal bedenken, wie feministisch (i.e. progressiv) wir uns eigentlich tatsächlich nennen können, wenn wir de facto nichts gegen diese frauenverachtende Scheisse in Pornos machen. Deshalb sollten wir uns in einem weiteren Punkt in die Lage des Gegenübers versetzen und uns überlegen, wie man sich selber verhalten würde, wenn alles gen Westen schaut und man dort eine (zumindest auf den ersten Blick, welcher leider häufig virtueller Art ist und via Pornos oder Popkultur geschieht) übersexualisierte Gesellschaft vorfindet. Wer kann da nicht zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dass man die eigenen, scheinbar reinen Werte bewahren möchte und deshalb mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die eigene Tochter irgendwann mal von mehreren Männern gleichzeitig penetriert wird? Die britisch-ägyptische Wissenschaftsjournalistin Shereen El-Feki (die übrigens letzten Frühling in der Sternstunde Philosophie zu Gast war) glaubt deshalb, dass das konservative Sexualverhalten in arabischen Ländern teilweise auch als Reaktion auf unsere westliche, häufig missverstandene Kultur zu deuten sei. Natürlich ist diese Sichtweise (zumindest in ihrer Reinform) genauso heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass gerade Länder mit einer stark unterdrückten Sexualität wie beispielsweise Pakistan die höchste Klick-Rate bei Pornoseiten hat. Nichtsdestotrotz soll dieses Gedankenspiel aufzeigen, dass alle Kulturen gleichermassen mit Vorurteilen zu kämpfen haben - und dass Pornos auch auf globaler Ebene einen negativen Einfluss haben können. Es bleibt also die Frage im Raum stehen, was wir nun gegen eine Industrie tun können, die offensichtlich eine grosse Nachfrage bedient, die global angesiedelt ist (der Schweizer Porno-Markt wird wohl ziemlich überschaubar sein) und schliesslich in seiner Grössendimension beinahe unendlich ist. Zunächst mal brauchen wir eine offene „Pornokultur“, in der wir tatsächlich über unsere sexuellen Fantasien, Ängste, Vorlieben und notfalls auch Abgründe sprechen. Dafür allein reicht allerdings ein „50 Shades Of Grey“-Boom nicht aus, welcher genauso fake und glatt ist wie die vorgegaukelten Sexszenen der Porno-Industrie. Eine gewisse Verantwortung tragen natürlich auch die Eltern sowie die Schule, welche die Probleme, die aus der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Pornofilmen resultieren, differenziert behandeln müssen; denn der Weg über die Bildung bleibt noch immer der langfristig vielversprechendste Lösungsansatz. Schliesslich braucht es auch klare gesetzliche Einschränkungen gewaltverherrlichender und diskriminierender Inhalte – auch wenn davon tatsächlich ein Drittel aller Pornos betroffen sein sollte (bei tausenden von Pornoseiten mit jeweils geschätzten Millionen von Videoclips pro Seite sollte dies hingegen nicht gross auffallen). Denn wenn eine gewisse tolerierbare Grenze überschritten und von mehreren Usern gemeldet wird, muss das entsprechende Video eigentlich einfach gelöscht werden. Ob es User gibt, die sich dieser ehrenamtlichen Aufgabe wirklich annehmen würden, sei jetzt mal dahingestellt – immerhin landen wohl die wenigsten von uns auf einer Pornoseite, um die Welt zu verbessern.
4 Comments
Bufo
21/8/2016 01:19:44 pm
Auf ein weiteres lehrreiches und kritisches Jahr!
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Robin
8/7/2021 04:57:15 am
Sehr gut beschrieben und auch ein Thema das 2021 auch aktuell ist. Es mag jetzt vielleicht etwas seltsam klingen, da ich mich als asexuell „sehe“ und Pornos manchmal trotzdem sehen möchte. Da ich jedoch nicht auf den Akt an sich stehe, die Geschlechtsteile/Sex ekeln mich oftmals sogar. Trotzdem verspüre ich manchmal das Verlangen nach Masturbation, was ja auch natürlich ist. Bei den genannten Websites vergeht mir die Lust schon bei den Startseiten. Aber meine „Vorlieben“ gehören halt nicht zu den bekannten/beliebten, wenn sie abgesehen von mir überhaupt existieren :‘D
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Wow, danke für diesen ausführlichen und auch intimen Kommentar! Ich kann dir da voll zustimmen und finde auch, dass die Schule - wohl auch heute noch - das Thema zu wenig anspricht.
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