Bald stehen wieder Abstimmungen vor der Tür und die SVP verursacht abermals ihren üblichen populistischen Trommelwirbel. Gerade diese Woche wurde von oben-genannter Partei ein unsägliches Video veröffentlicht, welches auf beschämende Art und Weise ein Kind «ausnutzt», um gegen Ausländer*innen zu wettern.
Dass mit solchen Videos (und entsprechenden Initiativen) vermutlich keine Abstimmung gewonnen wird, liegt auf der Hand. Die Frage stellt sich dann also, wieso die Partei überhaupt auf einen solchen Wahlkampf setzt. Würde die Partei ihren Kurs ändern, hätten sie höchstwahrscheinlich häufiger Erfolg. Dafür bräuchten sie natürlich auch andere, weniger radikale und polemische Initiativen. Denn insgesamt liegen die Meinungen beim Thema «Migration» im Durchschnitt wohl weniger krass auseinander, als man vielleicht erwarten würde. Und da wären wir beim Problem der linken Parteien; denn es läuft nicht alles so reibungslos, wie manche*r linke Politiker*in tut. Wenn wir versuchen, uns mal die durchschnittlichen, gemässigteren Mitte-Rechts-Wählenden vorzustellen, habe ich das Gefühl, dass die Mehrheit nicht wirklich der Meinung ist, dass irgendjemand tatsächlich aufgrund der Hautfarbe und Herkunft in irgendeiner Weise minderwertig ist. Vielmehr geht es diesen Wähler*innen wohl eher um die fehlende Integration jener Menschen – und das ist tatsächlich ein Thema, welches man ansprechen könnte oder je nachdem sogar müsste (zumindest wenn man von tatsächlicher Integration sowie kulturellem Austausch und nicht von blosser Anpassung an «Schweizer Werte» spricht, welche teilweise genauso verstaubt sind, wie die «Nicht-Schweizer Werte», welche gewisse Personen kritisieren). Doch anstatt über allfällige Probleme zu diskutieren, welche aus einer fehlenden Integration resultieren könnten oder gemeinsam Strategien zu entwickeln, wie Integration (noch) besser funktionieren könnte, geht man den opportunistischen Weg und sorgt dafür, dass sich die progressiveren Gegenparteien auch vehement dagegen stellen und dementsprechend positionieren. Diese Reaktionen oder Antworten sorgen wiederum ab und zu für Kopfschütteln. Beispielsweise als Mitte Februar dieses Jahres in vielen Zeitungen (u.a. in "20 Minuten") über Homophobie berichtet wurde und ich echt schockiert war über die Anzahl gewalttätiger Übergriffe auf Schwule in einer Zeit, in welcher es doch mittlerweile wirklich normal respektive einfach irrelevant sein sollte, auf welches Geschlecht man nun steht (oder eben nicht). Irritierend an der Lektüre war jedoch, dass gemäss Umfragen der Gratiszeitung sowie eigenen Gesprächen meistens Leute mit Migrationshintergrund durch homophobe Äusserungen und Tätigkeiten auffallen. Diese Information wurde aber sogleich wieder relativiert von den betroffenen Opfern, wie man am folgenden Beispiel aus dem Artikel oben sehen kann: «Es ist mir unangenehm, das zu sagen, aber: Auch bei mir waren es meistens Leute, die eine zweite Nationalität haben.» Wäre es nun nicht sinnvoller, wenn man sich darüber Gedanken machen würde, weshalb diese Tendenz offenbar besteht und wie man mehr an jene junge Männer (mit oder ohne Migrationshintergrund!) herankommt, anstatt entweder solche Aussagen unter den Teppich zu kehren (linkes Spektrum) oder dann gerade mit rassistischen Pauschalverurteilungen zu reagieren (rechtes Spektrum)? Auch bei aktivistischen Strassenaktionen zu Tierrechts- oder Umweltanliegen spürte ich manchmal eine sehr starke Intoleranz ausgehend von vorwiegend jungen Männern mit Migrationshintergrund, was feministische, säkulare (i.e. anders- oder nicht-religiöse), ökologische oder tierethische Anliegen betraf ("Wenn's im Koran stoht, denn isch es immer korrekt!"). In gewisser Weise waren diese Männer also selber höchst xenophob. (Ich will bewusst nicht von «rassistisch» sprechen, da «Rassismus» per Definition noch etwas komplexer und vielseitiger ist als beispielsweise «Xenophobie», was lediglich die Angst oder Ablehnung einer fremden Person, Kultur etc. beschreibt.) Das Problem an beiden politischen Spektren ist bei dieser Thematik, dass man es sich viel zu einfach machen möchte: Statt die Komplexität dieses Themas auszuleuchten, versucht man einfache Antworten zu liefern (auch wenn ich an dieser Stelle anmerken möchte, dass vor allem eine gewisse rechte Partei immer noch mit Abstand die vereinfachtesten Antworten liefert). Nehmen wir «Racial Profiling» (bspw. im Bereich von Drogenverkauf), also wenn Polizist*innen gewisse Ethnien häufiger kontrollieren als andere. Ist ein solches Vorgehen rassistisch? Ja, irgendwie schon... Ist ein solches Vorgehen effizient und führt bei gewissen Delikten tatsächlich schneller zur Gesetzesumsetzung? Vermutlich ebenfalls ja... Aber die soziodemografische Nachfolgefrage müsste dann auch sein: Wieso ist das so? Ist es möglich, dass wir geflüchteten oder zugewanderten Menschen keine ausreichenden Möglichkeiten geben, sich aktiv an der Gesellschaft zu beteiligen und einen anständigen Beruf auszuüben? Oder ist es zu verlockend, beispielsweise mit dem Verkauf von Drogen rasch an Geld zu kommen, weshalb einige junge Männer mit wenig vorteilhaften Zukunftsaussichten diesen Weg einschlagen (und leider gibt es halt mehr Leute mit Migrationshintergrund in den bildungsferneren Schichten, weshalb es schon nur rein statistisch einleuchtet, dass in gewissen Bereichen mehr Personen mit zweiter Herkunft straffällig werden). Eine weitere Nachfolgefrage müsste ebenfalls sein: Ist ein gewisses Vorgehen der Polizei rassistisch motiviert oder eben bloss der Versuch, aufgrund von praktischer Erfahrung möglichst rasch ans (juristische) Ziel zu kommen? Wie intensiv und regelmässig findet eine solche Kontrolle statt? Wie sehen Massnahmen und Sanktionen aus für falsche Einschätzungen seitens der Polizei? Und ist es angemessen, aufgrund von Fehleinschätzungen gerade «ACAB» zu skandieren? My point is: Die Welt ist nicht bloss schwarz-weiss. Und gleichwohl wird die Migrationsthematik häufig auf diese zwei Pole reduziert. Dabei kann man sich gleichermassen unwohl fühlen, wenn man unter einem Kündigungsinitiative-Post die Kommentare von rechtsbürgerlichen Wutbürger*innen über «Papierlischwizer» liest; über einen Artikel über die rechtsextreme "Eisenjugend" stösst oder wenn man sich ein Viertel vorstellt, wo kein Deutsch mehr gesprochen wird und Integration nicht mehr stattfindet, sondern allenfalls eine erzkonservative Kultur (Blutrache, Scharia-über-Bundesgesetz, Anti-Semitismus etc.) aufrechterhalten wird, die mit unserer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nicht mehr zu tun hat. Aber eben: Wir sehen kaum politische Vorstösse seitens der rechten Parteien, um mehr Geld in effizientere Integrationsmassnahmen zu investieren (z.B. obligatorische Deutschkurse und Patenschaften für Zugezogene). Wir sehen bloss Provokation und vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragen. Denn eine blosse Begrenzung der Zuwanderung löst die Probleme nicht, sondern schafft durch ihre Radikalität nur weitere Probleme (die Kündigung der bilateralen Verträge, die massive Erschwerung symbiotischer Beziehungen zwischen verschiedenen Staaten im Bereich der Forschung und Bildung etc. pp.). Es bleibt zu hoffen, dass wir es durch unser Mehrparteiensystem schaffen, das diffizile Anliegen der Migration respektive Integration zukünftig effizienter und gleichzeitig empathischer anzugehen; denn eines ist klar: Ob die SVP nun will oder nicht: Durch die Klima-, Corona- und die dadurch resultierende Wirtschaftskrise wird die Migration in wohlhabendere, europäische Staaten weiterhin zunehmen. Spätestens dann müssen wir einen Strategie für eine friedliche Zukunft miteinander gefunden haben.
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