Berlin, anfangs August 2018: Ich sitze in einem hippen Café und trinke einen Smoothie zum Frühstück. Mit einem Trinkhalm aus Edelstahl.
Hamburg, ein paar Tage später: Ich bestelle einen Himbeer-Mojito und kriege kurze Zeit danach ein Glas. Mit einer Nudel – einer Art überdimensioniertem Spaghetti mit Loch in der Mitte – als Trinkhalm. Wäre dies nicht das Jahr 2018, man hätte wohl überall einen ganz gewöhnlichen Plastikstrohhalm gekriegt. Meistens die etwas grösseren, stabileren Strohhalme in schwarz. Nun ist jedoch vor ein paar Monaten ein Gesetz in Kraft getreten, welches europaweit dem Plastik den Kampf ansagen will. Betroffen davon ist unter anderem der Strohhalm. Weil es dazu Alternativen aus anderen Materialien gäbe. Und weil er sich als Sündenbock gut eignet. Klar, so ein Gesetz ist natürlich absolut begrüssenswert. Besonders auch deshalb, weil das Gesetz nicht nur den Trinkhalm aus Plastik verbannen will, sondern ein globaleres und nachhaltigeres Plastik-Konzept anstrebt. Bei der Bevölkerung macht sich jedoch rasch ein Schlendrian breit, weil man meint, man habe mit dem alternativen Strohhalm gleich das ganze Plastik-Dilemma gelöst. Fortan würde es ja keine Bilder mehr von Schildkröten geben, in denen Nasenhöhlen sich Trinkhalme eingenistet haben. Ergo: Alles gut. Auch das Gewissen. So wie mit den wiederverwendbaren Stoffbeuteln („Veggie bags“) für den Gemüse- und Früchte-Einkauf im Supermarkt. Leider gibt es Studien, die zeigen, dass die Produktion eines solchen vermeintlich nachhaltigen Baumwollbeutels viel mehr Energie und Ressourcen benötigt als die konventionellen „Raschelsäcklein“ aus LDPE. Damit sich der Baumwollbeutel lohnt, muss er über 7000-mal wiederverwendet werden, damit sich der Einsatz lohnt und er tatsächlich nachhaltiger ist als die kleinen Plastikbeutel. Immerhin schneiden ungebleichte Papiersäcke deutlich besser ab: Da bedarf es nämlich nur 42 Wiederverwendungen, um ökologisch besser dazustehen als die Plastiksäcke. Und dennoch: Reisst ein solcher Papiersack nach dem achtunddreissigsten Mal, ist die Ökobilanz von Raschelsäcklein immer noch besser. Bezüglich Einkauf im Supermarkt empfiehlt sich zusammengefasst also entweder die gewöhnlichen Plastikbeutel wiederzuverwenden (was ja auch problemlos gehen sollte, wenn nicht gerade eine Pflaume oder Tomate darin zerquetscht wurde) oder – noch besser – gar nichts zu verwenden. Einfach die noch unverpackten Lebensmittel direkt auf die Waage oder in den Einkaufskorb oder -wagen zu legen. Ähnlich verhält es sich mit den Strohhalmen: Ein Trinkröhrchen aus Metall ist wohl aufgrund der aufwändigen Produktion massiv unökologischer als ein Plastikstrohhalm – auch wenn es dazu (noch) keine Studien gibt. Deshalb würde ich auch hier raten, einfach komplett auf Strohhalme zu verzichten („renounce“ statt „replace and reuse“). Für die meisten Drinks bedarf es nämlich gar keines Trinkhalms (obwohl mein Mojito ohne Röhrchen schon nicht so toll gewesen wäre, wenn man nicht damit im Rohrzucker-Limetten-Minze-Himbeer-Gemisch rumstochern kann... ;-)). Was ist also nun der Zweck dieses Blogposts? Mit diesem Beitrag will ich nicht unnötig Verwirrung stiften (auch wenn diese wohl bei zahlreichen ökologischen Themen unumgänglich ist), sondern möglichst neutral und pragmatisch die Thematik anschauen und nach den effektivsten Verhaltensweisen punkto Nachhaltigkeit Ausschau halten. Klar ist Plastik in den Weltmeeren ein Problem – Mikroplastik sogar noch ein massiv grösseres. Aber das meiste Plastik, welches wir beispielsweise in der Schweiz verwenden, findet den Weg nicht in den Ozean (und somit auch nicht in den Magen von Möwen, Pottwalen etc.). Ginge es wirklich um die Reduzierung von Plastik im Ozean, müssten wir die neuralgischen Punkte in Angriff nehmen. Das betrifft allerdings „nur“ zehn Flüsse weltweit, wobei acht davon in Asien zu finden sind. Über diese Flüsse gelangt nämlich am meisten Abfall in die Meere. Die Schweiz hat damit jedoch nichts zu tun - ausser sie verschifft mal wieder Abfall nach Asien oder Afrika, um selbst damit noch irgendwie Profit machen zu können... Ausserdem: Ginge es wirklich um den Schutz der Meere vor Plastik, wäre es mindestens ebenso wichtig zu fordern, dass man keinen Fisch und andere Lebewesen aus dem Meer mehr isst. Ein beachtlicher Teil der im Ozean gefundenen Plastikmasse besteht nämlich aus alten oder kaputten Fischernetzen. Dass das konventionelle Fischereigewerbe (wir sprechen jetzt hier nicht von irgendwelchen lokalen Fischern, deren bescheidener Fang ihre Lebensgrundlage bedeutet) zudem massiven Raubbau am Meer betreibt und dabei tausende weitere Fischarten und Säugetiere draufgehen sowie das ganze Ökosystem darunter leidet, sollte uns ebenfalls überzeugen, komplett auf Meeresprodukte zu verzichten. Ebenfalls sollten wir bedenken, dass die grössten Korallenriffe mitsamt ihrer faszinierenden Unterwasserwelt gerade am Sterben sind, weil wir den Klimawandel mit unserem Verhalten (i.e. regelmässig in die Ferien fliegen; mit dem Auto zur Arbeit fahren; tierische Produkte wie Fleisch, Milch, Käse und Co. essen; Überbevölkerung etc. pp.) verstärken. Aber wieder zurück zum ursprünglichen Thema: Schliesslich kann die Diskussion um Plastik auch regelrecht absurd werden, wenn beispielsweise in einem Facebook-Post (den Link dazu finde ich leider nicht mehr) gefordert wurde, dass die Plastikringe vom Flaschenhals von PET-Flaschen (siehe Coverbild) mit einer Schere durchschnitten werden sollten, damit sich darin keine Vögelchen strangulieren. Ganz ernsthaft: Dieser Plastikring bleibt ja sowieso üblicherweise am Flaschenhals dran bis zum finalen Feuertod in der Abfallverbrennung (oder der wunderbaren Wiedergeburt im Rezyklierungsprozess). Und sähe ich einen solchen Flaschenhals-Plastikring irgendwo auf der Strasse liegen, würde ich ihn einfach im Abfall entsorgen, wo er auch hingehört, und nicht noch umständlich nach Hause nehmen, um ihn dann auseinander zu schneiden, damit sich kein Federvieh darin verfangen könnte. Deshalb meine Aufforderung: Informiert euch doch bitte und handelt vernünftig. Das Plastikstrohhalm-Verbot der EU-Kommission ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung – vor allem auch deshalb, weil er (hoffentlich!) bloss der erste in einer Reihe von zahlreichen weiteren Schritten sein wird. Mindestens ebenso wichtig wäre jedoch auch beispielsweise konsequent Alu, Glas und PET zu rezyklieren (also dass man Produkte aus solchen Wertstoffen solange mit sich herumträgt, bis man sie irgendwo korrekt entsorgen kann) oder insgesamt weniger (Plastik)Produkte zu konsumieren (Stichwort Zero Waste). Diese Veränderung hängt jedoch primär von unserem eigenen Verhalten ab und nicht ausschliesslich von einer politischen Verordnung. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir uns nicht in kleinen ökologischen Nichtigkeiten verheddern. Das ist nämlich realistischer als der zierliche Hals eines Vögelchens in einem Plastikring einer PET-Flasche zu sehen.
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