Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.
Diesem Sprichwort wird wohl die eine oder andere Person bereits begegnet sein (insbesondere Pädagog*innen). Ursprünglich bezog sich dieses Zitat auf den Bereich der Kunst, doch es trifft auf moralphilosophische Diskussionen genauso gut zu. Das beste Beispiel dafür ist der Meatless Monday. Diese Kampagne, um jeweils montags einen fleischlosen Tag einzulegen, startete im Jahre 2003 und wurde primär deshalb lanciert, weil die amerikanische Bevölkerung zu viel Fleisch ass (und isst), was gegen die Ernährungsrichtlinien der USDA verstösst (kleiner Hinweis am Rande: Gemäss den Richtlinien des Schweizer Lehrplans sollten maximal dreimal pro Woche Fleisch gegessen werden; auch wir konsumieren also schon nur aus gesundheitlichen Gründen zu viel Fleisch). Mit der Zeit wurde aus dem Meatless Monday jedoch auch eine Kampagne für Nachhaltigkeit: Weniger Tierleid, Klimawandel und Umweltprobleme dank einem fleischlosen Tag. #MeatlessMonday #ConsciousLiving Leider hat das Ganze einen Haken: Es funktioniert nicht. Natürlich tut man der Tier- und Umwelt an jenem fleischlosen Tag etwas Gutes, aber als Studienleiter*innen das Ernährungsverhalten der Folgetage analysierten, mussten sie mit Schrecken feststellen, dass die Zunahme am Anteil Fleisch in den Gerichten überdurchschnittlich hoch war. Offenbar „kompensierten“ viele Teilnehmer*innen den Meatless Monday in den darauffolgenden Wochentagen, so dass die positive Auswirkung wieder zunichte gemacht wurde (oder teilweise sogar ins Negative kippte). Man bezeichnet dieses Phänomen als Rebound-Effekt. Damit ist gemeint, dass ein Effizienzgewinn in einem bestimmten Bereich zu einem unnachhaltigen Folgeverhalten führt – ja gar eine Verschwendung überhaupt erst ermöglicht. Ein weiteres Beispiel für den Rebound-Effekt wäre beispielsweise das E-Auto. Ein Auto, welches mit elektrischer Energie betrieben wird, hat grundsätzlich ökologische Vorteile, selbst wenn man betrachtet, dass wir aktuell noch zu wenig Ökostrom erzeugen. Dadurch haben wir jedoch das Gefühl, dass wir mit jeder Autofahrt auch irgendwie etwas Gutes tun; dabei sollte man Autofahrten generell so gut wie möglich verhindern und auf Fahrrad und ÖV zurückgreifen. Dieses positive Gefühl führt jedoch dazu, dass viele Besitzer*innen von Tesla und Co. häufiger oder längere Strecken mit dem Auto zurücklegen als wenn man einen Diesel – und damit verbunden ein womöglich schlechteres Gewissen – hätte. Ausserdem muss bei der Auto-Thematik bedacht werden, dass trotz der tendenziell ökologischeren Technologien im Vergleich zum letzten Jahrhundert, die Autos gleichzeitig auch leistungsstärker und grösser wurden, so dass jegliche positiven Auswirkungen auf die Umwelt wieder durch den Rebound-Effekt zunichte gemacht werden. (Kleiner Tipp am Rande: Deshalb sollte man beim Kauf eines Autos vorwiegend auf die Grösse und den Benzin- resp. Energieverbrauch achten [also nicht primär auf die Art des Antriebs] – und am besten gar nicht erst ein eigenes Auto kaufen, sondern Car-Sharing verwenden.) Der Rebound-Effekt erklärt auch, weshalb beispielsweise der Gesamtenergieverbrauch in der Informations- und Kommunikationstechnik-Branche (ICT) am Steigen ist, obwohl die einzelnen Geräte immer effizienter werden. Als die ersten Computer in den 80er Jahren auf den Markt kamen, benötigten diese hunderttausendmal mehr Energie als heute für eine einfache Rechenleistung. Allerdings haben wir heute wohl umgekehrt hunderttausend respektive eher milliardenfach mehr Rechenleistungen als damals: Bereits nur das Öffnen von Instagram oder Facebook benötigt viel Energie (mehr dazu im Blogpost „Der graue Klick“). Auch haben wir heute zwar kleinere Displays als die grossen Bildschirme von früher (grundsätzlich öko), aber dafür haben wir das Smartphone überall dabei und streamen darauf ganze Serien (ganz und gar nicht öko). Aus diesem Grund verdoppelt sich der Energieverbrauch der Informatik-Infrastruktur ungefähr alle fünf Jahre. Nun, was können wir denn gegen den Rebound-Effekt unternehmen? Zunächst ist es wichtig, diesen Effekt überhaupt wahrzunehmen und zu verstehen. Denn je mehr wir wissen, wie unsere Psyche funktioniert, desto mehr können wir unser Denken und Verhalten überwachen (Self-Monitoring) und – falls notwendig – anpassen. Wir müssen allerdings auch weg vom Gedanken kommen, dass wir so etwas wie ein moralisches Konto haben, welches wir mit positivem Verhalten füttern können, damit wir dann später wieder (Umwelt)Sünden tätigen können. Natürlich darf man sich als (konsequenter) Gutmensch auch hin und wieder eine solche Sünde leisten, aber grundsätzlich sollten wir versuchen, nach ethisch und ökologisch möglichst korrektem Verhalten zu streben, ohne dass wir uns immer was „gönnen“ müssten. Wichtig ist ebenfalls, dass wir eine genaue Vorstellung des effektiven ökologischen oder sozialen Werts einer Handlung haben. Eine wiederverwendbare Glas- oder Aluflasche zu besitzen ist zwar vorbildlich, aber bezüglich der Effektivität massiv kleiner als Flugreisen, Fleischkonsum oder regelmässige Autofahrten. Wenn es einem wirklich um die Umwelt geht, würde man also lieber die Aludeckeli und das Karton des Joghurts in den Müll werfen und dafür ein Sojajoghurt zu kaufen. (Glücklicherweise kann man ja beides machen und muss sich nicht gegen das eine oder andere entscheiden... ;-)) Schliesslich ist es auch ratsam, das eigene Verhalten tatsächlich messbar zu machen. Ein Essenstagebuch hilft, den eigenen Konsum von Fleisch, Käse, Milch und Co. einzudämmen; anhand der verwendeten Müllsäcke erkennt man, ob man wirklich weniger Abfall produziert; Autokilometer und Benzin/Energieverbrauch lassen sich ebenfalls gut messen; und die Temperatur in der Wohnung könnte man gut mit einem Innen-Thermometer kontrollieren. Beachten wir all diese Dinge, so können wir sicher(er) stellen, dass eine gut gemeinte Handlung auch effektiv gut ist – und das gute Gewissen nicht trügerisch.
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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