Eigentlich wollte ich ja über XY schreiben... So beginnen einige Blogbeiträge von mir. Und auch dieses Mal hatte ich eigentlich schon einen Post parat, den ich an diesem Sonntag veröffentlichen wollte.
Doch dann kam die Urteilsverkündung zum Vierfachmord von Rupperswil. Klar, so eine Tat ist absolut furchtbar und zutiefst erschreckend. Aber fast genauso verstörend sind die Meinungen zum Urteil, die man jetzt überall in den Kommentarspalten lesen kann. Dort ist von Erhängen, Erschiessen und elektrischem Stuhl die Rede. Aber auch diverse Foltermethoden wie das Abschneiden der Genitalien, das Verwenden von glühenden Zangen oder die Vergewaltigung des Täters werden als „gerechtere Strafen“ genannt. Dass einige Kommentierende sogar der Pflichtverteidigerin den Tod wünschen („an die Wand mit ihr und dann abdrücken“) und solche Kommentare zudem beileibe nicht Einzelfälle sind, macht das Ganze noch problematischer – und diskussionswürdiger. Handelt es sich bei dem Ruf nach dem elektrischen Stuhl und anderen Tötungsarten für besonders grausame Verbrecher um eine generelle Tendenz in der westlichen Gesellschaft? Zumindest lässt sich ein Wunsch nach härteren Strafen innerhalb der Bevölkerung feststellen – auch wenn die Zahl der Gewaltverbrechen in der Schweiz seit Jahren deutlich abnimmt. Ob nun das gegenseitige Aufstacheln in den sozialen Medien daran schuld ist (welches auch bei Themen wie Feminismus, pflanzlicher Ernährung oder der Flüchtlingsthematik regelmässig zu ausufernden Hasskommentaren führt) oder ob wir in einer immer komplexer werdenden Welt möglichst einfache (und finale) Antworten suchen, sei jetzt mal dahingestellt. Wichtiger scheint mir die Frage, wieso ein Urteil wie jenes im Falle von Thomas N. solche heftige Reaktionen auslöst; immerhin bedeutet die lebenslängliche Gefängnisstrafe nach Schweizer Gesetz mindestens (!) 15 Jahre Gefängnis (was immerhin der Hälfte meines Alters entspricht), wohl eher jedoch 20 bis 25 Jahre. Ausserdem folgt danach noch eine ordentliche Verwahrung, weitere jährliche Gutachten und Prüfungen, sowie eine ambulante Therapie, so dass der Täter höchstwahrscheinlich nie mehr einfach so unbeschwert frei herumspazieren kann (sollte er denn überhaupt jemals entlassen werden). Eine Todesstrafe gäbe hingegen den Schaulustigen, die dieser medialen Hexenjagd beiwohnen, eine Möglichkeit, ihre Rachegelüste sofort zu befriedigen. Solche subjektiven Affekte dürfen jedoch vor dem Gericht respektive bei einer Urteilsverkündung keine Rolle spielen; denn die Todesstrafe gehört eigentlich nicht mehr ins 21. Jahrhundert. Ein wichtiges Argument, das gegen die Todesstrafe spricht, ist sicherlich der statistische Fakt, dass knapp 5% der durch den elektrischen Stuhl oder eine andere Form exekutierten Insassen in amerikanischen Gefängnissen unschuldig sind. Dazu gesellt sich noch eine mit Sicherheit grosse Zahl an Fällen, bei welchen die hingerichteten Personen therapierbar gewesen wären. Die Fehlerquote bei Todesstrafen ist also grösser als sie sein sollte und daher auch nicht einfach so vernachlässigbar. Ausserdem muss erwähnt werden, dass zahlreiche Hinrichtungen nicht aufgrund von Gewaltverbrechen durchgeführt werden, sondern aus politischen Gründen. So ist beispielsweise Indonesien in jüngster Zeit häufig dadurch aufgefallen, weil dort vorwiegend Menschen aus der Armut exekutiert wurden, welche mit Drogen handelten. In Ländern wie Nigeria oder Saudi Arabien mussten hingegen viele Homosexuelle ihr Leben lassen - bloss aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Und in China kann man auch schnell mal infolge Diebstahls oder Steuervergehens hingerichtet werden. Ebenfalls haben Studien gezeigt, dass die Todesstrafe solche schrecklichen Gewalttaten nicht wirklich reduziert, geschweige denn verhindert. In den US-Bundesstaaten, in welchen die Todesstrafe erlaubt ist, ist die Mordrate häufig sogar höher als in jenen, in welchen sie mittlerweile verboten ist. In Ländern wie Kanada ist dieser Effekt auch spürbar: Seit der Abschaffung der Todesstrafe, ist dort nämlich die Mordrate deutlich zurückgegangen. Ein Argument, das häufig aufgeführt wird – unter anderem auch vom Rupperswiler Gemeindepräsidenten, welcher in einem beschämendem Medien-Auftritt ebenfalls lautstark die Todesstrafe für den Verurteilten forderte –, ist die Frage nach den Kosten eines Gefängnisinsassen, der lebenslänglich eingesperrt wird. Allerdings gibt es auch hier Zahlen, die belegen, dass amerikanischen Insassen, welchen die Todesstrafe droht, bis zu 10x mehr Kosten verursachen als normale Gefängnisinsassen, was vor allem damit zu tun hat, dass bei potentiellen „Kandidat*innen“ für den elektrischen Stuhl noch mehr psychiatrische Gutachten, forensische Nachforschungen und juristische Prozesse notwendig sind, als wenn man jemand einfach ins Gefängnis stecken würde. Natürlich liesse sich auch darüber streiten, ob es juristisch kohärent ist, gleichzeitig in einem Gesetzbuch das Töten zu verbieten, aber dem Staat die Möglichkeit zu geben, selbst zu töten. Das ist in etwa so absurd wie der Facebook-Kommentar eines jungen Herrn, welcher dafür plädierte, sowohl den Angeklagten wie seine Anwältin erschiessen zu lassen, und seine Mordfantasien dann mit dem unfreiwillig ironischen Nachtrag abschloss, dass es schon eine Schande sei, wie wenig ein Leben heutzutage noch wert sei... Schliesslich muss man genau dies bedenken, also dass das Leben das höchste Gut ist, welches wir kennen. Eine Gesellschaft, die das Recht auf ein unversehrtes Leben - auch eines Täters - nicht akzeptieren will, handelt weder humanistisch noch im Sinne der Menschenrechte. Besonders scheinheilig wird das Ganze, wenn dann die kritisierenden Leute nicht erkennen, wie ihr Handeln tagtäglich Menschen in den Tod treibt: Der Kauf des neuen Smartphones, für welches Kinder in Kupfer-Minen ersticken oder zugeschüttet werden; die Billigjeans aus dem Kleiderladen, was zu tödlichen Vergiftungen bei den Näherinnen führt; das angelegte Geld bei Banken, welche damit Waffenexporte und Krieg finanzieren; der Gang in den Flieger, welcher den Klimawandel anheizt und stärkere Unwetter-Katastrophen, Desertifikation etc. verursacht; und schliesslich auch der Verzehr tierischer Produkte, welcher jährlich schweizweit nicht nur zur Hinrichtung von ca. 69 Millionen fühlender Lebewesen führt, sondern auch viele Menschen in Entwicklungsländern verhungern lässt sowie unser Klima und unsere Umwelt zerstört. Sollten wir uns also selbst exekutieren, weil wir auch Blut an unseren Händen haben? Natürlich nicht. Stattdessen sollten wir erstens immer zuerst mal bei uns selber anfangen mit der Kritik (und der Veränderung!) und unser Handeln reflektieren, bevor wir uns in einer virtuellen Hexenjagd auf Andere stürzen. Wir haben in der Schweiz zudem glücklicherweise ein intaktes Justizsystem, welches in der Lage ist, gerechte Urteile zu fällen – auch wenn wir diese vielleicht nicht immer aus dem Affekt heraus verstehen können. Zweitens sollten wir dringend eine Diskussion über die Todesstrafe führen, denn eine solche grosse Anzahl an Menschen, die den elektrischen Stuhl zurück fordern, darf nicht unbeachtet und unkommentiert bleiben (vgl. dazu „Positive Trolling“) – zumal der Unmut der Bevölkerung regelmässig auch in einer Art Verschwörungstheorie resultiert (wie man bei den Online-Kommentaren beobachten kann), in welcher die Schweizer Gerichte als Teil einer Elite betrachtet werden, welche den Wunsch des Volkes nicht respektieren. Und da auch die Medien, die „Politiker in Bern“ und überhaupt der ganze Staat an diesem Komplott beteiligt sei, könne folglich niemandem mehr getraut werden – und schon ist die Selbstjustiz scheinbar legitimiert. Und wer weiss, vielleicht führt genau der unbeantwortete Ruf nach dem Stuhl dann wieder zu einem (Vierfach)Mord, wenn plötzlich jede*r selbst Richter*in und Henker*in ist.
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