Es gibt Dinge, die versucht man so oft wie möglich zu umgehen: Zahnärzte, Rush-Hour-Züge, Steuererklärungen, langweilige Familientreffen, Hochzeiten von entfernten Bekannten, mit Katzen im Auto unterwegs zu sein oder eben einem Einladungsschreiben einer Bank zu folgen und sich für eine gefühlte Stunde über Anlagen, 3. Säule und Zukunftspläne zu unterhalten.
Deshalb wollte ich das Schreiben der UBS eigentlich sogleich wegwerfen. Die Amygdala in meinem Gehirn schlug jedoch Alarm: "Was ist, wenn du dieses Jahr noch mehr Jahresgebühren etc. zahlen musst? Oder gibt es sonstige, unumgängliche Änderungen der Konditionen, die anstehen?" So kam es also, dass ich mich dann doch noch entschied, bei der Bank vorbeizugehen – immerhin war das Treffen zufälligerweise gerade auf meinen einzigen schulfreien Tag angesetzt gewesen. Was mich dort erwartete, sah ich allerdings nicht kommen, denn es sollte sich beim Treffen um einen dieser herrlichen Entscheidungsmomente voller Klarheit handeln. Zunächst mal überschütten dich die Bankangestellten natürlich mit hundert klebrig-süssen Floskeln, bringen dir Kaffee und umgarnen dich, als wärst du die einzige Frau in einem Club (obwohl ich ja eigentlich der Mann war und die Bankangestellte die Frau; vielleicht ist dies auch eine Strategie der Banken: Immer jemand des anderen Geschlechts in ein Beratungsgespräch zu schicken). Danach geht es aber doch ziemlich schnell ums Eingemachte, also um Geldanlagen, Aktien usw. Gemäss der jungen Dame wären dies nämlich die nächsten Schritte für meinen Bank-Account, ja für mein Leben generell. Ausserdem errechnete sie mir dann auch gleich, wie viel Geld man bräuchte, um eine Hypothek für ein kleines Einfamilienhaus in der Vorstadt zu kaufen – und wie viel ich davon im Moment noch entfernt wäre (herzlichen Dank für diesen Seitenhieb). Ich erwiderte, dass ich keine grosse Lust auf eine vermeintliche Vorstadt-Idylle verspürte, auf die kulturelle Langeweile dort draussen, den monotonen Klang des Rasenmähers und einen perfekt getrimmten (resp. kastrierten) Englischen Garten, der so nichts mehr mit Natur, sondern nur noch mit natürlicher Sterilität zu tun hat. Nein, ich wollte auch in Zukunft in der Stadt wohnen (dies wurde mir in ebendiesem Moment so wirklich bewusst) und ich würde dort auch mal eine Familie gründen; im urbanen Gewusel, nicht in dieser phlegmatischen Resignation, wo der Hase ja dem Fuchs auch nicht mehr Gutnacht sagt, weil die ja sowieso alle von uns verjagt (im doppelten Sinne) werden, denn niemand dulde doch den Fuchs in der Nähe der Zivilisation; nur den Wolf möge man noch weniger, weshalb man schon wieder einen abgeschossen hätte – vollkommen zu Unrecht übrigens; und überhaupt sei es viel nachhaltiger und ökologischer, wenn wir alle in der Stadt wohnen würden; dass die Zukunft im vertikalen Bauen läge, nicht im Vorstädtchen einer Vorstadt – da würden mir also alle Städteplaner zustimmen; denn die Zersiedlung würde eben gerade die natürlichen Lebensräume anderer Lebewesen einschränken und achtlos zerstören; und dass wir uns kaum darum scheren, sei sowieso ein schlechtes Zeugnis für die Menschheit und überhaupt... So riss ich also plötzlich das Gespräch an mich und referierte nun darüber, dass wir Menschen uns nicht alle in ein bünzliges Leben in vorgegebenen Schritten (Kindheit – Lehre/Studium – Berufseinstieg – Heirat – eigenes Haus – Kinder – 9-to-5-Job wie ein artiger Bürger – schliesslich in die Pension gehen – und irgendwann „ganz gehen“) stecken lassen würden. Als ich das Gebäude – ähnlich überrascht wie die Bankangestellte ab dem kurzen, verbalen Gewitter meinerseits – schliesslich wieder verliess, wusste ich, dass ich langfristig nicht immer gegen die Grossbanken wettern, aber trotzdem bei einer solchen Bank mein Geld auf die Seite legen konnte. Deshalb nahm ich mir vor, zuhause mal ein bisschen zu recherchieren, ob es denn irgendwelche Alternativen gäbe. Dabei stiess ich neben den üblichen Big-Playern wie der UBS oder der CS (und den Hin- oder gar Beweisen zu deren skrupellosen Geschäften), auf zwei Banken, die ich mir näher anschauen wollte. Die Freie Gemeinschaftsbank schien anfangs auch deshalb besonders interessant, weil ich ja sowieso wusste, dass ich nach Basel ziehen würde, wo jene Bank interessanterweise gerade ihren Hauptsitz hatte. Ausserdem gefielen mir die Überlegungen zu ihrer Kreditwirtschaft: „Das Geld unserer Einlagekunden fliesst in zukunftsweisende, menschliche und umweltfördernde Kreditprojekte“. Genau so etwas hatte ich gesucht: Eine Bank, die nicht der Profitgier verfallen schien. Beim genaueren Studieren der Grundsätze dieser Bank stiess ich jedoch auch auf seltsame Informationen: „Die Freie Gemeinschaftsbank Genossenschaft [...] setzt sich als erste Schweizer Bank eine spirituelle Erweiterung des Bankenwesens zum Ziel.“ Und: „Wir streben an, [...] den gesamten Geldfluss nach ethisch-spirituellen Kriterien zu gestalten.“ Wait, what? Das war mir dann doch irgendwie zu anthroposophisch und passte nicht zu meiner rationalen Natur. Immerhin hatte ich jetzt einen triftigeren Grund, mich nicht für diese Bank zu entscheiden. Das creepy Ginger-Kid auf der Homepage wäre nämlich ein denkbar schlechtes Argument gewesen, um diese Bank nicht zu wählen. Die zweite Bank hatte ihren Hauptsitz – ironischerweise – in Olten; jenem glockenphilen, konservativen, langweiligen Ort, dem ich eigentlich den Rücken kehren wollte. Trotzdem wollte ich der Alternativen Bank Schweiz eine zweite Chance geben; denn Liebe auf den ersten Blick ist ja wohl auch im Bankensystem eine Illusion. Und siehe da: Die Bank konnte mich tatsächlich überzeugen: „Als sozial und ökologisch orientierte Bank verzichtet sie auf Gewinnmaximierung und stellt ihre ethischen Grundsätze immer in den Vordergrund.“ Nun hatte ich natürlich Angst, dass sich hinter einem nächsten Klick womöglich wieder die Esoterik offenbaren könnte. Doch die Leitideen blieben überzeugend: „Das Geld der Kundinnen und Kunden investiert sie langfristig in soziale und ökologische Projekte und Unternehmen. Um aufzuzeigen, was das Geld bewirkt, werden sämtliche Kredite veröffentlicht. [...] So konsequent ist die ABS auch im Anlagegeschäft und bei den Arbeitsbedingungen. Sie setzt sich für die Gleichstellung der Geschlechter ein und kommt ohne Bonussystem aus.“ Dass die ABS ausserdem in einem unabhängigen Netzwerk von Banken aufgenommen wurde (die sogenannte „Global Alliance for Banking on Values“), welche sich zum Ziel gesetzt haben, ethische, soziale und ökologische Prinzipien über die Gewinnmaximierung zu stellen, fand ich ebenfalls überzeugend. Nachdem ich nun also wusste, zu welcher Bank ich wollte, kam der richtig mühsame Teil: Neue Konten eröffnen, Daueraufträge beenden, Kontenverbindungsänderungen kommunizieren, diverse Kontenüberträge betätigen, zahlreiche Formulare hin und her schicken, neue Karten mit neuen Pin-Nummern erhalten, die spezielle Handhabung von Vorsorgekonten etc. pp. Vielleicht gibt es ja irgendwelche (abartigen) Menschen auf diesem Planeten, denen diese administrative Tortur nichts ausmacht oder sogar noch Spass bereitet, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Banken (oder Krankenkassen) den Kunden das Wechseln bewusst erschweren, damit man den Unternehmen einfach „treu“ bleibt – bis zum bitteren Ende (der natürlichen oder juristischen Person, je nachdem wen's zuerst erwischt). Die ganze Angelegenheit erreichte ihren endgültigen und abschliessenden Höhepunkt im Austrittsgespräch mit der UBS vor wenigen Wochen. Anfangs schwieg man sich erstaunlicherweise lange an – wie zwei übermüdete Passanten in einem halb-leeren Zugabteil. Erst als ich mich schon verabschieden wollte, musste die junge Frau (siehe meine Theorie von oben bzgl. Geschlechter-Strategie der Banken) natürlich noch nachhaken: „Wie viel weniger zahlt man denn bei der Alternativen Bank?“ Ich blickte sie etwas verdutzt an, da ich annahm, dass die Angestellte erahnen konnte, weshalb ich die Bank wechselte. Offenbar nicht. Ich erklärte ihr also, dass ich bei der ABS wahrscheinlich mehr Gebühren zahlen und weniger Zinsen erhalten würde. „Aber wieso wechseln Sie dann überhaupt?“ „Es gibt auch ethische Gründe.“ „Also was meinen Sie genau damit?“ „Naja, dass ich keine Lust mehr auf eine Grossbank habe, die ihre Wahrheit so zurecht biegt, dass sie allerhand Geschäfte ''legal'' machen können; Sie werden ja sicher von den Offshore-Geschäften aus den Bahamas gehört haben, oder? Auf sowas habe ich einfach keine Lust mehr.“ „Aha, und Sie glauben, die Alternative Bank wäre besser?“ „Also im Vergleich zur UBS: Ja.“ „Dann sollten sie vielleicht noch ein bisschen besser recherchieren. Vielleicht finden Sie ja auch dort Negatives.“ „Ähm, es gibt, glaube ich, einen Grund, wieso die eine Bank sich öffentlich stark macht für mehr Transparenz und weniger Profitmaximierung; sich für ökologische, soziale oder ethische Projekte interessiert; und die andere Bank diese Begriffe nicht mal auf ihrer Homepage* erwähnt! Wollen Sie mir ernsthaft sagen, dass es ein blosser Zufall ist, dass man immer wieder von den gleichen Banken negative Schlagzeilen in den Medien liest? Und glauben Sie wirklich, dass es keine Aussagekraft hat, wenn eine Bank in einem Netzwerk von ethisch-engagierten Banken aufgenommen wird und die andere [Bank] nicht? Wissen Sie was, gehen Sie doch zu Ihrem Geschäftsführer, Filialleiter oder was auch immer, und sagen Sie ihm das; dass Leute nicht nur wegen dem verfluchten Geld wechseln, sondern dass es auch Menschen gibt, die sich für ethische Überlegungen und soziale Verantwortung interessieren und dass....“ Und so kam es zum zweiten aufbrausenden Monolog meinerseits innerhalb weniger Wochen, bei welchem alle beteiligten Parteien am Schluss überrascht, genervt oder aufgebracht (oder alles zusammen) auseinander gingen und sich wünschten, dass man sich so schnell nicht wieder begegnen möge. Es gibt Dinge, die versucht man so oft wie möglich zu umgehen: Banken gehören sicherlich dazu. Und ich in einer diskussionsfreudigen Laune ebenfalls. *To be fair: Unter den 2'602 Wörtern auf der UBS-Homepage findet sich zwar keines der drei oben genannten Adjektive, aber immerhin einmal das ziemlich schwammige Wort „nachhaltig“ und dreimal der Begriff „Engagement“, wobei jener eigentlich durch „Investment“ ersetzt werden könnte.
5 Comments
Simu
17/2/2017 07:08:51 am
Habe heute ein Konto bei der ABS eröffnet. Mache mich nun an daran, das Konto bei meiner alten Bank aufzulösen. Danke für deinen Ansporn, dein Blogeintrag hat mich zum Nachforschen und schliesslich zum Wechsel bewegt.
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kathrin
31/1/2018 11:32:23 pm
genau, auch ich habe im 2014 von der ubs zur abs gewechselt :-)
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MrEd (Edwin)
24/6/2019 08:44:07 am
Bei Ihnen lernt man viel mehr und sehr viel Wichtigeres fürs Leben, als bei anderen Lehrern! : )
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Herzlichen Dank für diesen Kommentar! Freut mich natürlich zu hören! :-)
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