In meinem Blog versuche ich ja mehrheitlich kritische, unbequeme Themen anzusprechen und auf eine möglichst individuelle Weise zu behandeln. Da fällt der letzte Beitrag (Popkultur To GO) vielleicht etwas aus der Reihe. Andererseits werden Videospiele wie Pokemon häufig auch etwas überkritisch betrachtet, oberflächlich durchleuchtet oder schlichtweg ignoriert, obwohl diese Themen durchaus Relevanz haben – besonders auch deshalb, weil sie eben in unserer Freizeit, in unserer Popkultur und natürlich in der Adoleszenz eine wichtige Rolle spielen (und sogar teilweise zur Sozialisation beitragen können, wie man anhand der Beispiele unten sehen kann). Sicherlich handelt es sich bei einer solchen Besprechung immer um einen Drahtseilakt – ähnlich wie wenn Intellektuelle versuchen, dem Fussballspiel philosophische oder künstlerische Aspekte zu entlocken (und am Schluss die Fussballer wie selbstreflektierte Kunstpoeten dastehen und nichts mehr mit den tätowierten Fitness-Heulsusen zu tun haben, die sie leider hin und wieder sind). Trotzdem kann sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Videospielkultur durchaus lohnen und spannende Aspekte offenbaren. Beispielsweise kann man Pokemon – um noch etwas bei dem Thema von vorletzter Woche zu bleiben – sinnvoll mit der Epoche der Romantik in Verbindung bringen. Die Geschichte um Ash Ketchum liest sich nämlich wie der Anfang eines romantischen Märchens oder einer Novelle: Ein Jüngling, der aus der langweiligen Tristesse und der Enge des ländlichen Dorflebens entfliehen will und sich deshalb, getrieben durch seine Wanderlust und der Sehnsucht nach der weiten Welt, auf den Weg in eine ungewisse Zukunft voller Abenteuer macht. Dieses romantische Bild ist übrigens auch bei der Dragon Quest-(Monsters-)Reihe – quasi dem Pendant zu Pokemon – offensichtlich. Dort zusätzlich zur an Caspar David Friedrich-erinnernden Bildsprache sogar noch in musikalischer Form. Der ansprechende Soundtrack zum Spiel erinnert nämlich stark an Werke aus ebendieser musikalischen Epoche (mit einigen barocken Ausnahmen), wenn die Streicher schwelgerisch-süffig, teilweise beinahe vor Pathos triefend, die Sehnsucht und Melancholie des Protagonisten musikalisch untermalen; und dann in einem nächsten Stück wieder düsteren, unheimlichen Orchesterklängen Platz machen. In beiden Videospielen und/oder Serien haben wir ausserdem das wiederauftretende Motiv der Beziehung Mensch und Tier, respektive Mensch und andere Lebewesen, auf welches ich mich in diesem Beitrag etwas fokussieren möchte. Neben der offensichtlichen, kindlichen Mensch-Haustier-Beziehung wird aber in einem gewissen Sinne bereits eine Art von Speziesismus behandelt – ein vieldiskutiertes Thema des 21. Jahrhundert (auch in der Schweiz: Man denke an das Aufstreben des Veganismus oder aktuell an die Initiative zum Thema Grundrechte für Primaten). Auch in anderen Videospielen werden ökologische oder ethische Themen aufgegriffen, zum Beispiel beim „Retro Aktivisten“ Sonic. Der etwas unpopulärere im grossen Duell der ersten Videospiel-Helden (quasi Messi vs. Ronaldo im Pixelkampf) macht nämlich die eindeutig bessere Figur – und zwar nicht nur wortwörtlich, sondern besonders hinsichtlich der Komplexität des Charakters. Während Mario ein leicht übergewichtiger, italienischer Klempner ist (immerhin haben wir es hier mit einer sympathischen Hinterfragung des idealisierten Superhelden zu tun – neben einer etwas unsympathischeren, stereotypen Vorstellung eines Italieners), dessen Lebensaufgabe darin besteht, die entführte Prinzessin Peach – im rosaroten Ballkleid, weissen Handschuhen und goldenem Diadem, versteht sich – zu retten; so scheinen die Beweggründe des königsblauen Igels auf den ersten Blick etwas unklarer und mysteriöser. Bei genauerer Betrachtung muss man dann feststellen, dass sich „Sonic The Hedgehog“ als „Sonic The Animal Liberator“ entpuppt. Denn im Gegensatz zur deutlichen Mehrheit anderer Videospielen tötet Sonic seine „Gegner“ im Spiel nicht, sondern zerstört lediglich die maschinelle Hülle, welche sie umgibt, und befreit dadurch die darin eingesperrten Tiere. Damit ist Sonic so etwas wie der virtuelle Vorreiter der Tierrechtsaktivisten von heute, deren Ziel ebenso die Rettung unschuldiger Lebewesen aus den Klauen der „Maschinerie“ (i.e. Massen- und Nutztierhaltung) und die Schliessung der Schlachthäuser ist. Dies lässt also keine Zweifel offen, dass Sonic der erste vegane Superheld gewesen sein muss.* Dazu passt auch, dass sein Widersacher einerseits ein Mensch ist (im Gegensatz zu Sonic, der die vom Menschen unterdrückten Lebewesen symbolisiert) und sich andererseits „Dr. Eggman“ nennt. Obschon ich grundsätzlich Verschwörungstheorien eher kritisch gegenüberstehe, scheint dies doch ein subtiler oder zumindest unbewusst Freud'scher Angriff auf die Eierproduktion und Legehennenhaltung (welche wohl schon damals alle männlichen und daher unbrauchbaren Küken vergast oder zerschreddert hatte, oder die Hennen in kleinen Käfigen zum Brüten unnatürlich vieler Eiern – bis zu zehn mal mehr als von der Natur vorgesehen – gezwungen hatte), auch wenn der Name des Antagonisten ursprünglich wohl lediglich auf dessen Körperform anspielte. Diesen tierethischen Ansatz sehen wir auch im Spiel „Oddworld: Abe's Oddysee“, in welchem man die Spielfigur Abe – ein glupschiges, dürres Wesen mit einer Art Hipster-Dutt – aus einer Fleischfabrik lotsen muss, in welcher nicht nur er, sondern sein ganzes Volk unter unwürdigen Bedingungen gehalten und versklavt wird. Als dann Abe zufälligerweise entdeckt, dass die geheimen Zutaten der von ihnen hergestellten und auch konsumierten Lebensmittel, sie selbst sind, versucht er aus diesem düsteren Labyrinth aus Beton und Metall zu flüchten. Besonders spannend an dieser zusammengefügten Story aus Moses, Krabat und Matrix ist das oben-beschriebene Gedankenexperiment der Spieleentwickler: Was würdest du tun, wenn du plötzlich selber als Nutztier im Käfig sässest? Auch hier sei deshalb die Querverbindung zur veganen Tierrechtsbewegung erlaubt, zumal im Spiel Abe und Co. zugenähte Münder haben. Diese dadurch erschwerte Kommunikation untereinander könnte auf die Unfähigkeit der eingesperrten Nutztiere anspielen, sich in unserer (menschlichen) Sprache auszudrücken. Ausserdem zeigt es, dass eine dominierende Spezies auch nicht vor Gewalt zurückschreckt, um die unterdrückte Lebensform zum Schweigen zu bringen. Während wir also bei Sonic eine etwas hoffnungsvollere und optimistischere Sicht der Dinge hatten, haben wir es hier mit einer weitaus pessimistischeren, bedrohlicheren Betrachtungsweise zu tun. Auch im etwas unbekannteren Videospiel „ToeJam & Earl – Panic On Funkatron“ (der Name des Planeten spielt auf den empfehlenswerten Soundtrack des Videospiels in klassischer P-Funk-Manier an) haben wir es mit dem Menschen und seiner Schattenseiten zu tun, wenn auch nicht mehr in so finsterer, dafür eher humoristischer Art und Weise. Die beiden Protagonisten sind nämlich Bewohner eines anderen Planeten, welcher plötzlich von Menschen überrannt wird, welche Hardcore-Littering betreiben, in Bagger alles klein walzen wollen, als neugierige Touristen natürliche Lebensräume zerstören, aggressive Haustiere auf die Einwohner hetzen und generell einen negativen Impact auf das Ökosystem des Planeten und dessen Bevölkerung haben. Ziel des Spiels ist es deshalb, die Eindringlinge wieder zurück auf ihren Planeten zu schicken (komischerweise geschieht dies, indem man sie in Einmachgläser einfängt und dann via Katapult auf die Erde bugsiert), um damit den Status Quo der Natur wieder herzustellen. Man könnte nun natürlich darüber diskutieren, ob dies jetzt die ethischste Alternative sei, da wir ja aktuell in einer Zeit leben, in welcher ein grosser Teil der Menschheit Ausschaffung und Abgrenzung durch Zäune und Mauern als einzige Lösung sieht. Andererseits würde ich als „Alien“ (wobei eigentlich in jenem Fall die Menschen die „Aliens“ sind; weshalb dieses Wort ähnlich nichtsaussagend wie der Begriff „Ausländer“ ist - einfach quasi auf extraterrestrischer Ebene bescheuert) in dieser spezifischen Situation und in Anbetracht dessen, was die Erdenbewohner mit der Natur ihres Planeten anstellen, wohl die Menschen auch lieber wieder wegschicken wollen, als mich mit der Integration einer solch dominanten Spezies abzumühen (jaja, ich weiss, selber in die Speziesismus-Falle getappt: Check!). Sicherlich gäbe es noch mehr spannende Videospiele, welche man aus einem soziologischen, philosophischen, ethischen oder ökologischen Gesichtspunkt analysieren könnte. Dennoch sollte klar geworden sein, dass Videospiele stets ein zentraler Teil unserer Kultur und unseres Wertesystem gewesen sind (wir sprechen jetzt nicht unbedingt von den populäreren Baller- oder Sportspielen), und dass einige Spiele nicht nur technisch innovativ waren (Pokemon GO), sondern auch aus inhaltlichen Aspekten überraschten. Bleibt zu hoffen, dass es die Videospiele (und selbstverständlich weitaus wichtiger, da einflussreicher: Serien, Filme etc.) von morgen schaffen werden, unsere Gesellschaft und – damit verbunden – unsere Vorstellungen von Moral und Ethik positiv zu formen; so dass wir bald neben einem Igel als quasi veganen Tierrechtsaktivisten auch noch einen mit seinen vier bunten Gespenstern Polyamorie-praktizierenden Pacman als Gegenbild zur nicht zwingend funktionierenden Monogamie bestaunen können; oder einen an einer aufgrund Super-Mario-zentrierter Aufmerksamkeit schweren Depression leidenden Yoshi spielen können, der regelmässig seine Medikamente einsammeln muss oder sonst die Steuerung verweigert; oder wer würde nicht gerne Ala(d)din in einem Videospiel sehen, dessen Aufgabe es ist, das Volk von autokratischen, narzisstischen IS-Psychopathen im Nahen Osten zu befreien; oder wie wäre es schliesslich mit einer „Zelda“-Fortsetzung mit Link als Transgender-Held, dessen grösster Kampf es ist, mit seiner nicht-binären Geschlechtsidentität in einer heteronormativen Gesellschaft klarzukommen? (*Wären da nicht die späteren Auftritte des Igels in diversen TV-Serien, in welchen er Unmengen Burger und Hot Dogs frisst – ob es sich dabei allerdings womöglich um fleischlose Burger und Hot Dogs handelte, ist dem Autor dieses Beitrags nicht bekannt.)
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