Was bringt Menschen dazu, ihr Verhalten zu verändern? Manche reagieren am meisten auf heftige visuelle Reize. (Schweine mit offenen Wunden in dunklen, dreckigen Industriehallen.) Andere sprechen mehr auf Fakten an. (Ca. 40% der gesamten eisfreien Landfläche wird für die Nutztierhaltung verwendet.) Einige interessieren sich eher für intellektuelle, philosophische Gedankenspiele. (Darf man fühlende Lebewesen leiden und töten lassen für ein bisschen Gaumenfreude?) Wiederum andere holt man am besten mit gesundheitlichen Ergebnissen ab. (Eine vegane Ernährung reduziert das Risiko einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung um ca. 70%.) Doch eine effiziente Strategie, um Verhaltensveränderungen bei Mitmenschen zu initiieren, geht manchmal ein bisschen vergessen: Die Popularität einer gewissen Sache. Bei Jugendlichen kann man dieses Verhalten besonders gut beobachten. Wieso fängt eine 16-jährige Person an, Cannabis zu rauchen, wenn sie Kenntnis hat von abschreckenden Bildern von Raucherlungen, gesundheitlichen Fakten über negative Einflüsse auf die Hirnstrukturen oder drakonische Strafen im Elternhaus? Natürlich spielt da auch ein bisschen Rebellion und Auslotsen von Grenzen mit, aber wäre Kiffen unbeliebt, würden es die wenigsten machen. Gemeinsam mit einer Portion „Peer-Pressure“ (i.e. Gruppendruck), welcher bei Minderjährigen besonders häufig auftritt, wird so ein spezifisches Verhalten begünstigt. Meine These ist nun, dass wir Erwachsenen in der Regel ähnlich funktionieren und mit einem gewissen Habitus primär Anerkennung erhalten wollen. Das heisst für eine politische Bewegung allerdings auch, dass man nicht nur die besten Argumente auf seiner Seite haben sollte, sondern dass man auch einen gewissen Appeal, also eine ansprechende Ausstrahlung nach aussen tragen sollte. Konkret heisst dies: Es muss irgendwie auch hip, sexy, cool, lit, korrekt oder whatever sein, sich für Frauen-, LGBT- oder Tierrechte und Umweltschutz einzusetzen. Aber wie geht sowas? Ein wichtiger Faktor ist, dass man versucht eine gewisse Bewegung von Stereotypen zu befreien. Also dass es unterschiedliche Formen von Menschen hinter dieser Bewegung gibt. Wenn der klassische Veganer radikale Verzichtskultur in allen Lebensbereichen propagiert und insgesamt ein unhygienischer Typ ohne Sinn für Humor ist; oder die Prototyp-Veganerin ausschliesslich Dreadlocks trägt und Interesse an energetisch-aufgeladenen Edelsteinen hat, dann ist das irgendwie nicht massentauglich und ansprechend. (Kleiner Hinweis: Solche Personen sollen und müssen natürlich in einer [veganen] Bewegung existieren können, ohne ausgeschlossen oder diskriminiert zu werden; es geht mir allerdings hier mehr um die allgemeine, gesellschaftliche Wirkung von aussen und die Wichtigkeit von unterschiedlichen Individuen und einer Heterogenität innerhalb einer Bewegung.) Damit eine Bewegung also richtig in Fahrt kommt, braucht es gleichzeitig eine Art Normalisierung sowie eine Hervorhebung und Exklusivität eines gewissen Lebensstils. Und da kommt Netflix ins Spiel. Let's be honest: Netflix hat definitiv mehr Coolness-Faktor als SRF, ORF, ZDF und andere staatliche TV-Sender oder das Fernsehen im Allgemeinen - vor allem bei den jüngeren Generationen. Also müssen wir unseren Aktivismus auch auf beliebte Streaming-Plattformen ausweiten (auch wenn dies zugegebenermassen weniger einfach ist als beispielsweise Blogposts zu schreiben). Doch wie steht es um die Repräsentation der veganen Bewegung auf Netflix? Einerseits hat Netflix mehrere sehr tolle vegane Dokumentationen in ihre Streaming-Mediathek aufgenommen. Wer sich für die negativen Konsequenzen der Fleisch-, Milch- und Eierindustrie auf die Umwelt und das Klima interessiert, wird bei „Cowspiracy“ fündig. In „What The Health“ werden gesundheitliche Vorteile einer veganen Ernährung erläutert. Bei „The Game Changers“ kann man hingegen bestaunen, dass selbst Profisportler und Athleten mit einer veganen Ernährungsweise beste Ergebnisse erzielen. Und der Spielfilm „Okja“ zeigt eine rührende Geschichte von einem Mädchen und ihrem Haustier, eine Art Nilfperd-Riesenschwein, welches zu Schnitzel verarbeitet werden soll. Andererseits gibt es immer mehr Serien, die ganz selbstverständlich vegan-lebende Menschen in ihre Plots einbauen und damit zu ebendieser Normalisierung beitragen. Einige dieser Entdeckungen möchte ich nun an dieser Stelle vorstellen und kommentieren: In der bei Jugendlichen beliebten Serie „Sex Education“ gibt es ein Trio, welches gleich zu Beginn der Serie klar macht: „We're vegan now!“ (s.u.). Spannenderweise handelt es sich bei den Protagonist*innen nicht um irgendwelche Klimaaktivist*innen, sondern um die arroganten, gestylten Cool-Kids der Schule. Ebenfalls interessant: In der zweiten Staffel wird nach „vegan Hotdogs“ verlangt und zwar komplett ohne jeglichen Kontext (s.u.). Es wirkt beinahe so, als hätte jemand der Screenplay-Writer gesagt: „Hey, wir könnten eigentlich mal wieder das „V“-Wort droppen!“ Aber auch in der Serie „Easy“, welche bei einem urbanen, jungen Publikum äusserst populär ist, tritt gleich in der zweiten Episode eine feministische Veganerin auf, die ihrer Freundin erklären muss, was „vegan“ denn überhaupt bedeutet (s.u.). In „Disenchantment“ von Matt Groening (u.a. Simpsons, Futurama) will der König in einer Episode möglichst schnell dick und ungesund werden. Was wird ihm also verabreicht? Ausschliesslich tierische Produkte (s.u.)! Flüssiger Käse, Würste und Eier in Form eines intravenösen Cholesterin-Shots. „Meat is murder“ heisst es hingegen in der zweiten Staffel von „13 Reasons Why“, einer Serie, die sich immer noch grosser Beliebtheit bei Jugendlichen erfreut (s.u.). Und last but not least: Selbst in Action-Serien, welche eher ein maskulines Publikum anziehen, sieht man teilweise einen Paradigmenwechsel. In „Bad Blood“ geht es um mafiöse Verbindungen, Drogen, Waffen und Gewalt. Da erstaunt es doch ein wenig, dass der Sohn eines einflussreichen italienischen Mafiosos in Kanada seiner „Famiglia“ erklärt, dass er keine Milchprodukte mehr konsumiere, weil sie für den Körper ungesund seien (s.u.). Auf die Frage, was er denn nun in den Kaffee nehme, entgegnet er: Mandelmilch. Natürlich reicht es nicht, Veganismus einfach bloss populärer zu machen, da eine solche Bewegung immer auch eine politische, aufklärerische, rebellische, sozialkritische Komponente enthalten muss.
Und dennoch schadet es nicht, auch darüber nachzudenken, wie solche Lebensstile in Kunst und (Pop)Kultur repräsentiert werden – und ob sich dort noch mehr ändern liesse (falls jemand Connections hat zu Serien- und Filmemacher*innen: Go talk to them right now!). Auch sollten wir daran denken, dass wir trotz (oder gerade aufgrund) aller Probleme auf der Welt Humor und Genuss nicht vergessen sollten. Eine politische Bewegung braucht eine gewisse Ernsthaftigkeit und gar Radikalität, aber sie sollte gleichzeitig auch eine Art Positivität ausstrahlen (aus diesem Grund organisiere ich beispielsweise die monatlichen Vegan-Dinners in Basel). Last but not least sollten wir auch – so gut wie machbar, natürlich – eine vegane Lebensweise als etwas Ansprechendes und Erstrebenswertes versuchen darzustellen: Mit welcher Verhaltensänderung kann man gleichzeitig etwas gegen den Klimawandel und die Umweltzerstörung machen; die bei den meisten Menschen inhärente Tierliebe ernster nehmen; kognitive Dissonanzen abbauen; mehr Rebellion in das Leben bringen; sich intellektuell weiterbilden; an seiner Empathiefähigkeit arbeiten; die gesundheitliche, körperliche Verfassung optimieren; in einer immer anonymer werdenden Welt eine Community und ein Zugehörigkeitsgefühl finden; oder sich einer noch kleinen Bewegung anschliessen, die zukünftig noch stärker wachsen wird und sich dadurch irgendwie auch als revolutionäre*r Denker*in positionieren? Klar, es ist nicht einfach, die vegane Bewegung sexy und mainstream-tauglich zu machen – again: man denke an die Struggles der Frauen-, Schwulen- oder Schwarze Bürgerrechtsbewegung im letzten Jahrhundert –, aber es sollte uns nicht davon abhalten, auch auf dieser Ebene Aktivismus zu betreiben. Netflix kann diesbezüglich ein wichtiger Verbündeter sein. Die Frage ist nur: Wie bringen wir Netflix & Co. (noch mehr) auf unsere Seite?
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