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Tippen Sie dort Spanien ein... Nein, im Ernst: Tun Sie es! Jetzt gleich! Wählen Sie nun das Satellitenbild aus. Nun sollten Sie es schon sehen. Ganz im Süden Spaniens. Etwas östlich von Gibraltar. Sehen Sie den weissen Zipfel? Zoomen Sie etwas näher (zwei Clicks), bis der Fleck einen Namen erhält. Roquetas de Mar. Gehen Sie noch etwas näher (weitere zwei Clicks). El Ejido. Was könnte dies sein? Raten Sie. Nein, keine Wüste. Auch kein Strand, der sich bis weit ins Landesinnere zieht. Gehen Sie ruhig noch etwas näher. Ja, Parzellen. Felder. Aber keine gewöhnlichen. Gehen Sie nun ganz nah. Na, geht doch. Treibhäuser! Und jetzt wieder zurück zoomen und staunen. Ein Meer von Treibhäusern. Ungefähr in der Grösse des Kantons Genf. Alles für unsere Bedürfnisse. Manchmal vergessen wir ja, von wo unser Essen eigentlich herkommt. Schnell landet eine Mango aus Ghana, eine Avocado aus Peru oder Bananen aus Ecuador in unserem Einkaufskorb (mehr zum Thema Saisonalität und Regionalität im Blogpost „Nieder mit der Pyramide!“). Es ist ja schliesslich auch normal - zumindest in unseren Breitengraden im 21. Jahrhundert -, all diese exotischen Dinge im Supermarkt vorzufinden. Allerdings gibt es ja auch noch weitere Informationen, die man weniger gut zu Gesicht bekommt als das Herkunftsland: Wie wurde beispielsweise die Avocado, die Banane oder die Mango hierher tranpsortiert? Mit dem Flugzeug oder via Schiff (ersteres ist massiv unökologischer)? Wie nachhaltig sah die Produktion aus? Wurden die Arbeitnehmer*innen fair entlöhnt? All diese Dinge sind nur schwer abschätzbar, weshalb unsere Fragen häufig unbeantwortet bleiben. Oder vielleicht kommen wir gar nicht auf die Idee, uns diese Fragen zu stellen. Oder wir wollen sie uns schlicht gar nicht erst stellen. (So wie wir nicht wirklich wissen wollen, dass ein Grillsteak einst ein fühlendes, soziales Lebewesen war – vielleicht eine sanfte Kuh oder ein verspieltes Schwein...) Doch auch wenn es immer mehr Produkte aus Übersee im Supermarkt gibt, stammt doch das meiste Gemüse und die Mehrzahl der Früchte vorwiegend aus einem Land: Spanien. Dies ist zwar aus ökologischer Sicht meistens vorteilhafter (da „regionaler“ als intekontinentale Produkte), doch wissen wenige von uns, wie die Arbeits- und Produktionsbedingungen in Spanien eigentlich aussehen. Als europäisches Land sollten dort doch eigentlich faire Arbeitsbedingungen vorherrschen, oder etwa nicht? In diesem Blogpost möchte ich euch auf eine kurze Reise dorthin mitnehmen... El Ejido – auch „Mar del Plástico“ genannt – liegt in der Provinz Almería in Andalusien. In Europa gibt es nirgends eine grössere Ansammlung von Treibhäusern, welche für den Gemüse- und Früchteanbau genutzt werden. Ungefähr 36'000 Hektar beträgt die Gesamtfläche. Das ist so gross wie die Flächen der Städte Basel, Bern, Zürich, Luzern, Genf, Lausanne, Lugano und Chur zusammen! Dass diese Form von extensiver Landwirtschaft ökologische Probleme mit sich bringt, scheint klar zu sein: Wasserknappheit, die Zerstörung und Vergiftung von Boden und Grundwasser durch Pestizide, Dünger usw. Doch El Ejido ist nicht nur aus umwelttechnischer Sicht ein Problemfall, sondern auch aufgrund der fürchterlichen Arbeitsbedingungen, die dort herrschen. Die meisten Arbeitskräfte sind nämlich Flüchtlinge, welche häufig nicht einmal einen Pass besitzen und deshalb besonders anfällig für Ausbeutung sind. Arbeitsverträge werden nur mündlich gemacht (oder existieren in der Regel gar nicht erst), die Löhne sind entsprechend tief und Rechte gibt es sowieso keine für die ausländischen Landarbeiter. Gewohnt wird in winzigen, improvisierten Wellblech-Hütten, in welchen es logischerweise weder Strom noch Wasser gibt. Viele der Arbeitskräfte aus Marokko, Ghana und Co. sind auch in körperlich schlechter Verfassung: Die Arbeit mit Pestiziden und anderen Giften, die schrecklichen hygienischen Zustände, verunreinigtes Trinkwasser, die Hitze – all dies führt zu Krankheiten. Krankheiten, welche aufgrund einer fehlenden medizinischen Versorgung kaum geheilt werden können. Nur durch NGOs wie „Ärzte ohne Grenzen“, welche vor Ort medizinische Hilfe anbieten, kann die Situation zumindest etwas verbessert werden. Was kann man also gegen diese unhaltbaren Zustände in El Ejido tun? Leider ist die Situation ziemlich verzwickt, da wir viele problematische Teilaspekte angehen müssten, um eine zufriedenstellende Lösung zu finden – ein typisches Merkmal von Problemen, welche im Zusammenspiel von Globalisierung und Kapitalismus entstanden sind. So sind beispielsweise auch nicht alle Landbesitzer per se rücksichtslos und böse, sondern stehen ebenfalls unter Druck und sind teilweise durch aufgenommene Kredite massiv verschuldet. Ausserdem ist es auch eine Frage der Justiz und der Politik, neue und bessere Gesetze zum Schutz von ausgebeuteten Landarbeitern zu schaffen. Und schliesslich sind auch die Supermärkte – und natürlich auch wir Konsumenten – dafür verantwortlich, wie viel wir bereit sind für faire und ökologische Produkte zu bezahlen. Labels können hier sicher Abhilfe schaffen. Ein Bio-Produkt mit Fairtrade-Label ist sicherlich einem konventionellen vorzuziehen. Klar, man könnte auch nur noch einheimische, regionale Produkte kaufen, mit welchen wir diese moderne Form von Sklaverei nicht quersubventionieren oder mitfinanzieren. Dann sind jedoch die Sans-Papier im Süden Spaniens arbeitslos. Vielleicht gilt deshalb auch hier das Credo: Weniger ist mehr. Weniger ausländische Produkte aus Spanien, Italien usw. kaufen, dafür dort eine bessere Entlöhnung garantieren. Klar würde der Preis dadurch für das Gemüse oder die Früchte steigen, aber im Gegensatz zu vielen anderen Dingen, die wir im Alltag kaufen und konsumieren, sind Nahrungsmittel absolut lebensnotwendig. Da darf man durchaus auch etwas mehr Geld ausgeben (und dafür etwas stärker auf Shopping, Flugreisen usw. verzichten). Letztendlich darf man aber nicht vergessen, dass das Entstehen der Treibhaus-Stadt von El Ejido auch dadurch begünstigt wurde, dass die weltweite Ackerfläche vorwiegend für die Nutztierhaltung verwendet wird (83% des weltweiten Ackerlands wird für die Viehzucht und deren Futtermittelproduktion verwendet). Dadurch wird die Anbaufläche für Gemüse und Früchte knapp und die Situation an Orten wie Almería verschärft sich. Nicht nur aus ökologischer, sondern auch als ökonomischer Sicht bleibt also das Hauptproblem der Landwirtschaft die Viehzucht (und damit verbunden der Verzehr von tierischen Produkten), da diese immer noch massiv mehr Land, Wasser und (Kraft)Futter als alle El Ejidos auf der Welt zusammen benötigt. Es ist also an der Zeit, dass wir mehr Gemüse, Getreide, Hülsenfrüchte etc. für uns Menschen anbauen und die Anzahl „Nutz“tiere massiv reduzieren (bitte „Massentierhaltungsinitiative“ unterschreiben). Dadurch würden nämlich auch Orte wie El Ejido entlastet und die Situation für die ausgebeuteten Landarbeiter verbessert werden. Doch solange die Weltbevölkerung jedes Jahr noch mehr wächst und wir uns gleichzeitig bezüglich unserem Konsumverhalten weder zügeln, noch uns einen Masterplan hinsichtlich der Überbevölkerung unseres Planeten überlegen wollen, wird der weisse Zipfel Spaniens wohl nicht kleiner, sondern nur noch grösser werden...
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