Vor einigen Wochen war ich in einem Schullager unterwegs. Genau, das ist diese Form von Schulunterricht, wo man für eine Woche sein erzwungenes Dasein als Papi von 22 Kindern fristen muss. Aber mal im Ernst: So schlimm war es natürlich nicht. Kinder sind ja grundsätzlich nicht so grosse Idioten wie Erwachsene (auch im wortwörtlichen Sinne; zumindest je nach Wachstum und Frühreife). Denn häufig sind sie noch so herrlich unschuldig und erzählen einem beispielsweise während der für das Lager obligaten, längeren Wanderung von ihren – zumindest aus Sicht eines Erwachsenen harmlosen - Liebesproblemen oder bedeutungslosen Siegen oder Niederlagen im letzten Fussballmatch.
Natürlich habe ich viele Dinge aus dem Klassenlager mitnehmen können – also damit meine ich in erster Linie jetzt nicht die massenhaft übrig gebliebenen und daher verflucht schweren Lebensmittel-Vorräte (aus meiner subjektiven, utilitaristischen Sicht war mein Leiden kleiner als die "Sünde" eines möglichen Food Wastes), sondern eben auch Erinnerungen, Wissen, Meinungen und solche nicht-greif- oder swipebaren, und daher im digitalen Zeitalter scheinbar unwichtigen Sachen. Beispielsweise dass Jugendliche eine seltsam-ambivalente Bewunderung für vegan-lebende Menschen hegen (sowie bereits flache Veganer-Witze in petto haben), dass einige SchülerInnen wohl noch fast nie in einer Küche standen („Ähm, wie schneide ich einen Käse?“), dass es immer ein paar Teens gibt, die bezüglich Hygiene den Adeligen zu Zeiten des Barocks in nichts nachstehen (der Axe-Spray als Waschsubstitut) – oder dass Facebook out ist. Genau, geschätzte Leserinnen und Leser, wir sind out, passé, gelebte Vergangenheit. Natürlich wissen wir alle, dass sich Jugendkulturen immer selbst erfinden und ebendiese Erfindungen meist von kurzer Halbwertszeit sind. In der Vergangenheit können wir ja zahlreiche Beispiele finden, die diesem Zyklus von Zugehörigkeit und Abgrenzung folgen. Die Geschichte der Tonträger startet beispielsweise mit der Stiftwalze im 18. Jahrhundert, welche dann später von der Schellack-Platte abgelöst wurde. Irgendwann in den 40er Jahren folgte dann die Vinyl-Langspielplatte, die Kassette (60er Jahre), die CD (1982) und schliesslich die Ablösung von digitalen Dateiformaten wie MP3 und Co. Es liegt in der Natur der Sache, dass wir einem solchen Wandel mit Misstrauen begegnen. Wir sollten allerdings auch immer den Mut aufbringen, zu fragen, ob diese Veränderungen tatsächlich so schlimm sind, wie wir vielleicht im ersten Moment zu glauben wissen, oder ob sie womöglich sogar begrüssenswert sind, da sie beispielsweise unseren Alltag erleichtern können. Die Entwicklung hin zur digitalen Verfügbarkeit von Musik ist beispielsweise ein solcher technischer Fortschritt. Noch nie war es so einfach wie heute, eine so grosse Datenbank an Musik stets bei sich zu haben. Punkto Mobilität, Funktionalität, Handlichkeit und Ökologie kann also die Schallplatte oder die CD einpacken, auch wenn Musikformate wie MP3 auch Negatives mit sich gebracht haben (dieses Thema wird vermutlich zu einem späteren Blog-Zeitpunkt noch vertiefter aufgegriffen werden). Zurück zum Thema Social Media: Auf meine Frage hin, was sie (die Stichprobe bestand aus fünf Mädchen im Alter von ungefähr 14 Jahren) denn anstelle von Facebook verwenden würden, nannten sie drei Apps: Snapchat, Whatsapp und teilweise noch Instagram. So, so. Dieses ominöse Snapchat also. Okay, aus soziologischer Sicht mag das ja vielleicht noch lustig sein (da höchst selbstironisch), wenn man eine App wie Snapchat kreiert, die die Schnelllebigkeit der heutigen Welt symbolisch festhält, indem man seine Fotos oder Videos nur für eine begrenzte Dauer von maximal zehn Sekunden zeigen kann. Man könnte ausserdem durch diese besonderen Bedingungen das Gefühl kriegen, dass man Zeuge von etwas sehr Speziellem geworden ist, einer Sternschnuppe gleich. Das Problem ist nur: Wie viel Inhalt kann man in eine Nachricht von der Dauer einer Sternschnuppe hineinpacken? Kann ein solcher Inhalt überhaupt eine gewisse Tragweite und Relevanz innehaben? Und wieso sollte ich etwas Kluges, Sinnvolles, behutsam Ausformuliertes – also beispielsweise diesen Blogbeitrag ;-) - bloss für ein paar Sekunden Fame erschaffen? Natürlich kann ich den kommunikativen Wert und den unterhaltsamen Aspekt dieses Produkts nachvollziehen, besonders für Jugendliche, die offenbar Bilder und Videos einer schriftlichen Form vorziehen; allerdings sehe ich nicht ein – und da kommt jetzt wieder die Sicht des besorgten Pädagogen und Gesellschaftskritikers ins Spiel –, inwiefern diese Entwicklung irgendwie von Wert für die Gesellschaft sein sollte, ausser dass man unnötige Megabytes durch die Gegend schickt und oberflächliche Eindrücke konsumiert. Gut, dasselbe könnte man ja auch von Whatsapp behaupten, was eigentlich auch „nur“ als Kommunikationsmittel taugt. Immerhin ist Whatsapp in diesem Gebiet (schweizweit) die Nummer eins, da ja SMS nur noch im äussersten Notfall (also wenn kein Internet oder WiFi verfügbar ist) genutzt werden. So gesehen, ist Whatsapp die konsequente, kostensparende Weiterführung der SMS-Nachrichten, wobei Snapchat wiederum vielleicht das Upgrade zu Whatsapp ist, welches im Vergleich dazu wie der langweilige, etwas häuslichere Bruder von Snapchat wirkt. Wenn aber beide Apps ungefähr dasselbe Ziel haben, nämlich das (spielerische) Übermitteln von Nachrichten, was ersetzt dann Facebook? Instagram, das dritte App, welches von den Mädchen genannt wurde, hat zwar so etwas wie eine Pinnwand oder ein Profil, bei welchem der Öffentlichkeit oder einem ausgewählten sozialen Kreis Gegenwärtiges wie Vergangenes präsentiert werden kann, dennoch schafft auch Instagram den Sprung über die Oberflächlichkeit kaum hinaus. Im Gegensatz zu anderen Plattformen wie Tookapic scheinen zudem auch keine künstlerischen oder kreativen Überlegungen dahinter zu stehen, sondern bloss das zur Schau stellen vom letzten Shopping-Anfall, von kürzlich unternommenen Reisen oder vom schicken Abendessen im angesagten Restaurant etc. Irgendwie kriege ich deshalb das Gefühl nicht los, dass Instagram genauso gut ein Produkt aus den 50er Jahren hätte sein können, für welches Don Draper aus der Erfolgsserie „MadMen“ sicherlich eine tolle Werbekampagne auf den digitalen Leib hätte schneiden können. Denn was sonst ist Instagram, wenn nicht ein Ausdruck des adretten, niedlichen, aufpolierten und spannenden Lebens ohne kritische Hintergedanken? Aber genau diese sind es, welche ich in der Welt des Social Media von morgen (i.e. meiner SchülerInnen) vermisse. Schliesslich spielt sich dort mittlerweile auch ein grosser Teil des gesellschaftlichen Lebens und der Meinungsbildung (Stichwort: US-Wahlen 2016) ab. Das Potenzial der medialen Reichweite eines öffentlichen (Facebook/Twitter)-Posts ist gigantisch, weshalb beispielsweise auch immer mehr politische Inhalte in unsere Feeds finden. Das sollte uns eigentlich zeigen, dass es sich bei Facebook nicht bloss um ein Tool handelt, um alte Schulfreunde aufzusuchen oder die verflossene Liebe auszuspionieren, sondern um das politische "Schlachtfeld" von heute und morgen. Diese Entwicklung mag einigen Leuten zwar nicht gefallen, ist aber wohl nicht mehr aufzuhalten. Wer deshalb dauernd auf Facebook rumhackt (und ich meine jetzt nicht im Bereich des Datenschutzes, wo eine Kritik vollkommen legitim ist), der würde womöglich besser mit Instagram und Co. fahren, wo man sich die tägliche Portion Strand- und Katzenfotos reinziehen kann. Denn eine der Stärken von Facebook liegt eben gerade in seiner Vielseitigkeit. Neben einem tieferen, umfassenderen und langlebigeren Einblick in die Biografie ausgewählter Benutzer, kann man nämlich – zumindest je nach Freundeskreis resp. Social-Media-Blase, in welcher wir uns digital bewegen – auch viele interessante Posts zu wissenschaftlichen, philosophischen, künstlerischen oder eben politischen Themen finden. Facebook kann also durchaus auch zur allgemeinen Bildung unseres Geistes (zu dessen Verkümmerung natürlich ebenso) beitragen; genauso kann es uns mit aktuellen News versorgen, damit wir am Puls der Zeit bleiben; kritische Texte können unsere Wahrnehmung verändern und Werte hinterfragen; Diskussionen können entstehen, die weit mehr sind als das Resultat gelangweilter Trolle, die sich gegenseitig Fluchwörter an den Kopf werfen. Social Media ist letztendlich nichts anderes als das, was der User daraus macht. Nur eignen sich gewisse Apps eben besser als andere, um einen Impact auf die positive Entwicklung unserer Gesellschaft zu haben. Vielleicht ist dies aber eben auch gerade die Schwäche von Facebook. Die Masse will womöglich lieber ein einfaches, einseitiges Produkt, das genau für einen einzigen Zweck verwendet werden kann. Auch in der politischen Welt sieht man ja dieses Verhalten, wenn sich immer mehr Menschen hinter der AfD, der SVP oder dem neuen US-Präsidenten (es schaudert mich immer noch ein bisschen, wenn mir dieses Wort über die Tasten rutscht) verstecken, da diese die einfachsten Antworten zu komplexen Fragestellungen liefern. Eine Mauer ist beispielsweise ein einfaches, gut vorstellbares Konstrukt mit einer klaren Funktion: Abgrenzung. Genauso verhält es sich doch mit Instagram oder Snapchat, nur dass die Einfachheit der Funktion in der Selbstdarstellung und Kommunikation besteht (und dass man sich dort nicht abgrenzt, sondern diese Abgrenzung zu überwinden versucht). Und zu einem gewissen Grad ist das ja auch okay. Nicht alles muss meinungsbildend und gesellschaftlich relevant sein. Die Angelegenheit erachte ich persönlich erst dann als problematisch, wenn in dem aus diversen Social Media Apps/Webseiten bestehenden Kaleidoskop gar keine Bildung, kein kritisches Denken, keine Politik und kein Weltgeschehen mehr integriert ist. Aber vielleicht ist ja Snapchat schon bald wieder out und uns erwartet das nächste spannende Social Media Startup, das sich nicht mehr auf oberflächliche Selbstdarstellung und gelebten Narzissmus beschränkt. Oder vielleicht hat Donald Trump und sein republikanisches Gefolge bis dahin schon einen atomaren Weltkrieg angezettelt und die Menschheit fürchtet weniger um die Anzahl Likes, als um ihr Dasein. Oder vielleicht heisst die Lösung auch ganz einfach: Technische Geräte einfach mal komplett weglegen und während einer Wanderung – ganz "old fashioned" – miteinander diskutieren. Dafür sollten wir eigentlich keine App benötigen.
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