Seit ein paar Wochen kann ich nicht mehr entspannt durch die Strassen flanieren. Nicht aufgrund des Dichtestresses durch vorweihnachtliche Kaufräusche (Stichwort: Black Friday) und auch nicht wegen den VelofahrerInnen, die jetzt langsam alle auf den ÖV umsteigen und Busse oder Trams verstopfen (ich bleibe dem Fahrrad sowieso weiterhin treu und trotze der Kälte – zumindest bis in die seichteren Minusgrade). Nein, aktuell sieht man beim Anblick der sich behäbig bewegenden Masse wieder mal tief in die seelenlose Abgründe der Menschheit. Damit meine ich nicht die Rücksichtslosigkeit, mit welchem sich gewisse Personen durch den aus Pendlern bestehenden Dschungel kämpfen oder mit Ellenbogen und schwingenden Rucksäcken um Sitzplätze im Zug ringen, sondern in erster Linie die Kleiderwahl. Also besonders die Wahl der Jacken. Denn mittlerweile sieht man wieder zahlreiche Mäntel, Anoraks und Parkas mit Echtpelz. Ja, genau, das ist das, was wir eigentlich doch vor langer Zeit mal verpönt und aus dem Mainstream verbannt haben. Jetzt ist sie also wieder zurück, die unnötige Tierqual. Denn seien wir mal ehrlich: Den Pelz braucht's jetzt wirklich nicht; ja nicht einmal das Pelz-Imitat. Die meisten Menschen in der Schweiz haben die Kapuzen ja sowieso kaum oben (da Eingrenzung des Gesichtsfelds und wenig arktische Wetterbedingungen im Flachland) und wenn, dann bringt ein kleiner Streifen Fell auch nicht gerade viel Wärme oder Schutz. Es kann also lediglich um die Optik gehen. Die (philosophische) Frage stellt sich also, ob tatsächlich so viele Personen die subjektive Ästhetik eines Kleidungsstücks dem Leben und der Qualen nicht-menschlicher Lebewesen vorziehen. Oder ob sie's einfach nicht besser wissen. Oder ob's ihnen schlichtweg egal ist. Sicher ist nur, dass das willkürliche Diktat der Mode (ob es sich bei dieser abstrakten Begrifflichkeit vielleicht nicht generell eher um eine "textile" Gehirnwäsche im Rahmen unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems handelt, sei jetzt mal dahingestellt) es mal wieder geschafft hat, dass zahlreiche junge Leute einem hässlichen – und das meine ich weniger äusserlich als vorwiegend innerlich – Trend nachrennen. Denn hässlich ist der Weg zum flauschigen Objekt der Begierde allemal. Wer sich einmal Videos angeschaut hat, wie beispielsweise Angora-Kanninchen (Achtung: Schwer verdauliches Bild- und Audiomaterial) oder Kojoten (prominentester Vertreter dieser Tierquälerei ist übrigends das Mode-Flaggschiff „Canada Goose“, deren Jacken man derzeit leider überall sieht) gehalten und gehäutet werden, dem sollte bei vorhandener Empathiefähigkeit eigentlich sehr, sehr schlecht werden. Die Versuche des Kojoten aus den Fallen auszubrechen, sind schwer anzusehen, zumal diese Tiere den unsrigen Hunden nicht ganz unähnlich sehen. Und wer würde schon seinen eigenen Hund häuten und an seine Kapuze heften? Als wäre der Pelz aus dem Fell eines Kojoten nicht schon genug der Tierquälerei, gibt es bei Canada Goose, Woolrich, Nabholz oder Parajumpers noch mehr (verstecktes) Leid zu finden. Schliesslich sind viele dieser Jacken mit Daunen gefüllt und diese wärmedämmenden Bestandteile sind häufig genauso problematisch wie der Pelz selbst. Für die Fütterung einer Jacke braucht es teilweise mehrere Dutzend Enten oder Gänse, die entweder lebendig oder tot gerupft werden. Häufig geschieht auch heute noch Ersteres, obwohl dies eigentlich in der Schweiz und gemäss EU-Richtlinien verboten wäre (nicht jedoch in den Hauptproduktionsländern China, Ungarn oder Polen, welche ein juristisches Schlupfloch gefunden haben); denn je häufiger man die Federn eines Entenvogels ausreisst, desto feiner werden dessen Daunen – offenbar eine evolutionäre Fehlfunktion (andererseits sind seit dem unaufhaltsamen Ausbreiten des modernen Menschen sowieso jegliche evolutionäre Vor- und Nachteile obsolet geworden). Das bedeutet also, dass selbst pelzlose Jacken nicht ohne Bedenken gekauft werden können, weil dafür zwar weder Kojoten, Kaninchen, Füchse, Luchse, Waschbären, Biber, Nerze und Hermeline, noch Hunde oder Katzen (beides übrigens sehr beliebt in China, wo ungefähr 80% aller weltweiten Pelzprodukte herkommen) in schrecklichen Bedingungen gehalten (85% aller für die Pelzindustrie verwendeten Tiere verbringen ihr ganzes Leben in engen Drahtkäfigen) und auf brutale Weise getötet und gehäutet werden; aber dafür je nachdem gefiederte Tiere das gleiche Schicksal erleiden müssen. Und enthält der Anorak zwar auch keine Daunenfüllung, so können selbst dort noch weitere tierische Bestandteile wie Wolle enthalten sein, was häufig ebenso mit ungeahntem Tierleid angereichert ist, wie beispielsweise dieser Artikel über australische Schafwolle offenbart. Dass wir jetzt im Rahmen dieses Themas noch nicht einmal über die knapp eine Milliarde Lebewesen gesprochen haben, die jährlich für die globale und nicht weniger leidvolle Lederindustrie geschlachtet werden (und zwar nicht als Nebenprodukt der Fleischindustrie, wie häufig angenommen wird; das meiste Leder stammt nämlich von sogenannten Lederkühen aus Indien, wie diese Dokumentation beweist), sollte uns schon zu denken geben, wie sehr unser Verhältnis zu Tieren im Bereich der Mode getrübt oder gar schizophren ist. Was also kann man tun? Hier ein paar Vorschläge und Überlegungen:
Was wir bei der ganzen Angelegenheit nicht vergessen dürfen, ist, dass die „geistige Evolution“ einer Gesellschaft nicht linear fortschreitet. Das heisst, dass es sich bei diesem aktuellen Pelz-Boom vielleicht bloss um einen kurzen (tierrechts)ethischen Rückschlag handelt – womöglich auch ausgelöst durch das forsche, aber absolut notwendige Streben nach einer (tier)leidfreieren Welt, wie dies zeitgenössische soziale Bewegungen wie der Veganismus öffentlich fordern. Ähnlich wie bei der US-Präsidentschaftswahl offenbart sich bei der Entscheidung, einen Echtpelz zu kaufen, also eine soziologische und bildungspolitische Diskrepanz innerhalb der Bevölkerung; wobei man natürlich festhalten muss, dass sich nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung tatsächlich zu einem solchen Kaufentscheid hinreissen lässt (wohingegen die US-Wahlen einen tieferen Schnitt durch die Gesellschaft aufschliessen). Trotzdem ist es wichtig, gerade jetzt hinzuschauen und sich gegen Pelz und Co. zu stellen, damit die Kurve unseres ethischen gesellschaftlichen Fortschritts nach diesem hoffentlich kurzen Rückfall wieder deutlich steigen wird. PS: In meiner Garderobe befindet sich übrigens noch eine dunkelbraune Lederjacke aus den Anfängen der Studiumszeit und eine flauschige Mütze, welche ich mal in den Ferien auf einem Markt ergattert habe – und sich später als Angora-Fell herausgestellt hat. Getragen habe ich die beiden allerdings schon länger nicht mehr. Vielleicht habe ich Angst darauf angesprochen zu werden. ;-)
6 Comments
Falls ihr übrigens Marken sucht, welche vegane Jacken anbieten, findet ihr hier eine kleine Auswahl:
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Simon
6/1/2017 12:15:25 am
Patagonia verwendet übrigens auch viele rezyklierte Stoffe. Teilweise enthalten die Jacken zwar noch Daunen, häufig aber immerhin rezyklierte Daunen aus alten Bettdecken, Jacken etc. :-)
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Simon
5/12/2016 05:37:39 am
Heute hat sich eine Woolrich-Trägerin neben mich gesetzt und da hab ich zunächst ein paar Minuten gebraucht, bis ich tatsächlich den Mut gefunden hatte zu fragen, ob es sich bei dem Kragen an der Jacke um Echtpelz handelte oder nicht.
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Xtof
26/12/2016 02:05:38 am
Wir alle, die wir aus ethischen Gründen das Pelztragen verabscheuen, sind gefragt für die gematerten Tiere einzustehen. Sie können es ja nicht mehr. Das heisst also tief durchatmen und die Gelegenheit nutzen, diese Menschen anzusprechen. Egal wie. Die Hauptsache ist, dass sie merken, dass sie geächtet werden. Irgendwann sollte es für sie zu eine Art Spiessrutenlaufen werden wenn sie mit ihrem Qualprodukt auf die Strasse gehen.
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Danke für deine Rückmeldung. Ich kann dir da vollkommen zustimmen: Wichtig ist vor allem, dass man auf die Leute zu geht, dass man Probleme in der Gesellschaft nicht einfach ignoriert. Von da her möchte ich dir herzlich danken für deinen Einsatz, Xtof. Denn es ist nicht so einfach, diese persönliche Barriere zu durchbrechen und Leute darauf anzusprechen. Deshalb braucht's mehr Leute wie dich! ;-)
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Vivienne
8/2/2017 02:13:34 am
Hey Simi!
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