"Sometimes the only way to evolve as a human being is to see the naked truth."
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Zugegeben: Ich habe The Voice und ähnliche Formate schon immer verabscheut. Nicht nur, weil ich eine gewisse Aversion gegen übermotivierte, fröhlich-singende Menschen hege (und das als Musiklehrer, I know, I know... Interessanterweise verspüre ich keine solchen negativen Gefühle während des Unterrichtens; vielleicht aufgrund der Tatsache, dass die Hälfte der Klasse weder motiviert noch gut aufgelegt ist), sondern auch weil ich nicht gerne Leute beim Verlieren zusehe (ausser man wäre natürlich ein leidenschaftlicher Supporter des Konkurrenten; allerdings kann ich mich nie für eine der eindimensionalen, leicht bemitleidenswerten Personen entscheiden). Schlimmer wird es nur noch, wenn halbwegs qualifizierte Experten auf den armen Verlieren rumhacken, so dass man entweder doch für die armen Figuren bei der Sendung anruft, oder aber gleich die Nummer der Notfallseelsorge wählt, weil man an die suizidal-zermürbende Zeit der Kandidaten nach der Sendung denkt. Allerdings gibt es eine Art „Bashing“, das ich nicht nur ertrage, sondern auch absolut köstlich finde. Das hat damit zu tun, dass ich nicht die „Verlierer“ auslache (welche übrigens auch mehr oder weniger resistent gegen Kritik sind), sondern die „Experten“, welche sich ihrer eigenen Komik gar nicht bewusst sind (im Gegensatz zu Dieter Bohlen und Co.) und stattdessen das Gefühl haben, sie sprechen bloss in ihrem eloquenten Fachjargon. Ich spreche natürlich von den Weindegustationen im K-Tipp. Gut möglich, dass ich selbst die tragische Figur in der ganzen Sache bin, da ich Wein nicht sonderlich mag oder wertschätze und dadurch wohl auch kaum empfänglich für die fein(st)en Nuancen des vergorenen Traubensaftes bin. Gewisse Aromen wie zum Beispiel alle Arten von Beeren, Vanille, Tabak, Mandeln, Kirsche kann ich mir zumindest (mit etwas Vorstellungskraft) irgendwie vorstellen. Allerdings bin ich dann schon etwas verblüfft und frage mich, wie „Quitte und Honigmelone, [...] Pfirsich und Marzipan“ in einen Heida-Wein hineinkommen. Sind die Walliser Weinbauern so experimentierfreudig oder entsorgen sie so einfach ihre Reste vom Vortag? Gewisse Aromen liegen jedoch so fern von meiner Imagination, dass man mir bitte erklären möge, wie man Aromen wie „Saunaholz“ (auch: „nasses Holz“, „feuchtes Unterholz“, „ein Hauch Holz“, „Alibi-Holz“ oder „nur Holz“), „flüssige schwarze Schokolade und Rauch“, „welken Blumen“, „Efeu und Brotrinde“, „Moos“, „Brennnessel“, „Sellerie“, „Peperoni“, „eine leichte Pilznote“ bis „reife Trüffel“, „Gruyère-Käse-Fondue“, „Tiki-Brause“, „Rauchwurst“, „getrocknetes Heu“, einen „nassen Keller“ oder gar „Möbelpolitur, angebrannter Kuchen und Pferdestall“ geruchs- oder geschmackstechnisch herausfiltern kann. Ebenfalls ist mir schleierhaft wie sich ein Wein menschliche Eigenschaften aneignen konnte und plötzlich als „freundlicher“ oder „eleganter“ Wein gelobt wird oder als „ungehobelter“, „verschlossener und nichtssagender“ (würde mich auch erstaunen, wenn der Wein stattdessen „äusserst gesprächig“ wäre) oder „aggressiver“ Wein getadelt wird. Manchmal ist er aber auch einfach „kein Reisser“, „ohne Charme“ oder „ohne Persönlichkeit“. Teilweise vermisst man bei diesen Weinbesprechungen auch die Konsequenz: Wenn man beispielsweise beim einen Chianti „wenig Körper“ bemängelt und sich beim anderen über den Geschmack von „Schweiss und Leder“ beschwert. Oder wenn ein ausgewählter Zweigelt-Wein zuerst für seine „schimmernde, jugendliche Röte“ komplimentiert wird, um dann für seinen „unreifen Eindruck“ gerügt zu werden. Ja, was jetzt? Jugendlichkeit und Unreife gehören zusammen wie Tofu und Soja. Wenn sich die Jury also einen erfahrenen oder womöglich gar weisen Wein - einen sogenannten Weiswein (hust hust...) - wünscht, dann muss sie sich halt mit einem „gebrochenen Rot“ eines Rollator-Greisen oder mit dem Braunrot von Altersflecken zufrieden geben. Und während mir die Lektüre ziemlich viel Freude bereitet, finden die wählerischen Experten bedenklich häufig einen Wein, der „keinen Spass macht“ oder gar „ein Desaster“ ist; was schliesslich bei der einen Weinbesprechung in der wunderbar rhetorisch-philosophischen Frage kulminierte: „Wo sind die Aromen?“ Das ist schade; denn man könnte davon ausgehen, dass eine Weindegustation zu den angenehmen und freudigen Tätigkeiten einer Önologin oder eines Weinakademikers gehören sollte. Aber immerhin bereitet mir mein Job (trotz oben genannter Aversion) grosse Freude – auch wenn die „müden, schlaffen Tropfen“ mit der „Unreife im Gaumen“ nach einer Sportlektion mit mehreren Minuten Verspätung und mit „wahrnehmbaren Stallnoten wie Pferdeschweiss“ und einer Geruchsmischung von „feuchtem Gras“, „nassem Lappen“ und „Bazooka-Kaugummi“ herein schlurfen. Leider sind diese unterhaltsamen Weindegustations-Aritkel online nicht verfügbar (zumindest nicht ohne K-Tipp-Abo). Immerhin kann man hier einen kleinen Einblick in "die Leiden des [wohl nicht mehr so] jungen We"...inakademikers gewinnen.
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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