Vorsätze sind offenbar out. Denn noch nie habe ich mich vor, während oder nach Neujahr so wenig über Vorsätze unterhalten wie in den letzten Wochen. Das hat womöglich auch damit zu tun, dass ich grössere Familienfeste rund um den Jahreswechsel vermieden habe, wo üblicherweise der standardisierte Fragenkatalog (neben Vorsatz-Fragen auch solche zum Thema Befindlichkeit im [Lehr]beruf oder – ebenfalls ein Klassiker – die Kinderfrage) heruntergeleiert wird. Aus optimistischer Sicht könnte man vielleicht sagen, dass wir einfach eine Generation sind, die bereits alle Vorsätze während des Jahres umsetzen („So, ab morgen esse ich weniger Fleisch/mache mehr Sport/suche mir einen neuen Freund...“). Es könnte aber genauso gut sein, dass das pessimistische Pendant zutrifft: Dass wir schlicht nicht mehr an Vorsätze glauben – zumindest nicht an deren Umsetzung. Denn mal ganz ehrlich: Wer von euch – sofern ihr euch überhaupt einen Vorsatz gefasst habt – hat in den ersten sieben Tagen im neuen Jahr bereits wieder seinen/ihren Vorsatz gebrochen? Das hat in erster Linie wohl damit zu tun, dass wir den Idealen, die wir uns in Form von Vorsätzen zurechtlegen, wohl selber nicht trauen: Ist es wirklich so schlimm, hin und wieder ein Basil Kunz über den Durst hinaus zu trinken? Sich an einem (veganen) Sonntagsbrunch zu überessen? Oder sich stundenlang auf spannenden Blogs oder Youtube-Channels rumzutreiben? (Ihr seht: Mein Vorsatz ist es, ein bisschen [unbezahlte!] Werbung für tolle Projekte zu machen. ;-)) Nein, natürlich nicht. Deshalb verzichten viele von uns darauf, sich überhaupt etwas für das neue Jahr vorzunehmen; immerhin will sich ja niemand mit einem schlechten Gewissen das Leben unnötigerweise schwer machen. Lebt es sich also vorsatzlos glücklicher? Grundsätzlich schon. Allerdings muss man die ganze Angelegenheit natürlich noch etwas differenzierter betrachten und sich folgende Fragen stellen: Was macht uns langfristig glücklich? Inwiefern beeinflusst mein (Nicht-)Handeln andere Lebewesen? Und ermögliche ich dadurch (Un)Glück? Stülpt man nun diese Fragen über die Vorsätze von oben, merkt man, dass beispielsweise ein lediglich teilweise ausufernder Alkoholkonsum wohl langfristig keine grossen Schäden hinterlassen wird und dadurch auch Familie, Freunde und Partnerschaft nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Man könnte sich höchstens überlegen, ob es denn nicht auch ein Bio-Gin oder ein Fairtrade-Rum tun würde statt den üblichen, konventionellen Verdächtigen. Im Allgemeinen spricht aber nichts gegen ein massvolles Trinken; selbst wenn es hin und wieder nicht so massvoll sein sollte. Nun gibt es jedoch andere Vorsätze, die einen grösseren Einfluss auf das eigene Leben oder jenes der Andern haben. Deshalb plädiere ich dafür, sich lieber einem sozialen oder ökologischen Vorsatz anzunehmen, bei welchem die Wichtigkeit und Notwendigkeit auch noch Wochen und Monate nach Neujahr evident erscheint. Aus diesem Grund habe ich vor einem Jahr im Rahmen meines zweiteiligen Blogbeitrags „Klimaziel-Resignation“ und „Klimaziel-Hoffnung“ meine Mitmenschen aufgefordert, sich hinsichtlich des Klimagipfels in Paris eigene Ziele zu setzen und diese zu verfolgen. Man kann so zwar der Gefahr auch nicht komplett entgehen, mit den gesteckten Zielen zu scheitern, aber immerhin wird man wohl mehr Grund sehen, an deren Umsetzung festzuhalten. Ende 2015 wurden deshalb 24 Beiträge mit unterschiedlichen Vorsätzen in der Kommentarspalte meines Blog-Beitrags geteilt: Vom Verringern von Foodwaste oder unnötigem Verpackungsmaterial zur Reduktion des Fleischkonsums oder gar einem kompletten Verzicht auf jegliche tierische Produkte – die angestrebten Ziele sollen ganz auf das Individuum zugeschnitten sein, jedoch immer einem sozialen, ökologischen oder ethischen Zweck dienen. Um aber überhaupt einen passenden Vorsatz zu finden, lohnt sich eine Orientierung an folgenden Kriterien: - Fordernd: Das Ziel soll ein bisschen herausfordernd sein, ohne überfordernd zu wirken. Statt sich also „jeden Montag-Mittag vegetarisch zu ernähren“ kann man durchaus „drei Tage die Woche auf vegetarische Kost zurückgreifen“. Oder anstatt sich im nächsten Jahr „eine Woche rein pflanzlich zu ernähren“ könnte man 2017 „pro Quartal je mindestens eine Woche vegan leben“. - Konkret: Ist ein Vorsatz nicht konkret genug, lässt er sich schnell umgehen oder relativieren. Aus „mehr Bioprodukte“ könnte dann vielleicht „Gemüse und Früchte nur noch aus biologischer Produktion, wenn eine solche Alternative vorliegt“ werden. Oder „nur noch einmal wöchentlich Früchte aus Übersee konsumieren“ statt „weniger exotische Früchte“. Oder - für die Faulen/Wohlhabenden unter euch - anstatt im neuen Jahr "etwas mehr zu spenden" könnte man "1% oder 2% des Lohns an gemeinnützige Organisationen zuwenden". - Individuell: Es gibt viele Dinge, die in der Welt schief laufen, deshalb müssen nicht alle im gleichen Bereich aktiv sein. Wichtig ist also, dass man ein Themenfeld auswählt, wo man zumindest einigermassen intrinsisch motiviert ist – sei dies nun die Flüchtlingskrise, der Klimaschutz, das eigene Reise- („die nächsten zwei Jahre nicht mehr fliegen“) oder Konsumverhalten, die Modeindustrie („kein Pelz, Leder und Co., dafür Bio/Fairtrade-Baumwolle“), Frauen- oder LGBT-Rechte etc. pp. - Öffentlich: Wenn man solche Ziele transparent und für die Öffentlichkeit zugänglich formuliert, ist man eher gewillt, an deren Umsetzung zu arbeiten – immerhin resultiert daraus nicht nur ein schlechtes (oder gutes) Gewissen, sondern man enttäuscht (oder erfreut) damit ein ganzes soziales Umfeld. Bastelt man einen Vorsatz hingegen im stillen Kämmerlein, so fällt es einem einfacher, die Ziele irgendwann wieder in die Abstellkammer zu (ver)stecken. Vorsatzlos glücklich? Nur wenn man sich lediglich um sein eigenes Glück schert und selber schon mit reichlich Glück überhäuft wurde. Ansonsten kann es nie genug altruistische Vorsätze geben. Denn es gibt noch viel zu tun. Bitte hier ↓ oder auf der Facebook-Page eure Vorsätze hinschreiben!
Diejenigen, die schon letztes Jahr mitgemacht haben, dürfen auch kurz noch erklären, ob sie ihr Ziel erreicht haben (oder wieso nicht ;-)).
6 Comments
Simon
8/1/2017 03:42:03 am
Okay, zunächst mal zu meinen letztjährigen Neujahrszielen:
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8/1/2017 06:00:40 am
More artsy stuff in the grey area of the law - to make the world a more colourful and political place. ;-)
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Nina
8/1/2017 11:17:17 am
also auf Facebook muss ich ja nichts mehr veröffentlichen - das ist ja bereits passiert.
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Nando
8/1/2017 11:53:08 am
Meine Ziele von 2016:
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esteban
9/1/2017 03:54:41 pm
rueckblick 2016:
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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