Als ob die zweifelhafte Vermehrung der zahlreichen Dönerbuden in den letzten Jahrzehnten nicht schon genug gewesen wäre (einige glauben ja immer noch, es handle sich dabei um eine wertvolle Bereicherung unseres kulinarischen Angebots oder zumindest um ein Stück authentischer türkischer Kultur – was ungefähr so absurd ist, wie Riz Casimir als thailändisches Kulturerbe zu bezeichnen), schiessen seit einiger Zeit überall Fitnessstudios in die Höhe - und zwar nicht nur in urbanen Zentren, sondern auch in ländlicheren Gegenden oder abgelegenen Orten wie leblos-wirkenden Industrievierteln (eine Korrelation zwischen Dönerbuden und Fitnessstudios kann übrigens nicht ganz ausgeschlossen werden).
Der Körper als wichtig(st)es Lifestyle-Produkt unserer Zeit? Wenn man unser Dating-Verhalten betrachtet (Stichwort Tinder), scheint dies sicherlich nicht ganz falsch zu sein. Ist dieser Körperkult, der sich in der rasanten Verbreitung der Fitnessstudios manifestiert, also gar ein notwendiger Schritt in unserer gesellschaftlichen Entwicklung? Und spriessen in ein paar Jahren vielleicht überall plastische Chirurgiebuden aus dem Boden (welche man dann beispielsweise als vermeintliche Kultur Brasiliens interpretiert)? Diese Entwicklung(en) hinsichtlich des Körperkults fand ich seit langem etwas lästig; was nicht nur mit der Tatsache zu tun hat, dass ich als Fliegengewicht keine Chance auf tatsächlichen Muskelaufbau hätte – zumindest nicht ohne Zunahme von grässlichen Protein-Shakes oder happigeren Substanzen. Die Probleme sehe ich eher darin, dass man für ein richtiges und früchtetragendes Workout viel Zeit investieren muss. Denn: Einmal in der Woche kurz ein paar Übungen machen, führt garantiert nicht zum Erfolg; höchstens zu einem selbstzufriedenen Schulterklopfen von sportlichen Minimalisten. Die Frage stellt sich also, ob diese Zeit nicht anderweitig genutzt werden könnte, vielleicht für eine Sache, die weniger mit Oberflächlichem zu tun und dafür mehr gesellschaftliche Relevanz hätte. Wie wäre es mit Bildung? Literatur? Philosophie? Politik? Kunst? Kultur? Aktivismus? Natürlich muss nicht jegliche Beschäftigung intellektueller Art sein, aber es wäre schön, wenn solche gesellschaftlichen Trends in eine andere Richtung gehen würden und nicht bloss dazu da wären, sein Selbstwertgefühl und Marktwert zu steigern. Denn welchen Zweck hat das „Pumpen“ und „Crossfitten“ sonst? Natürlich tut man seinem Körper etwas Gutes und fühlt sich üblicherweise danach fitter (aus diesem Grund gehe ich ja auch regelmässig joggen und mache etwas "Fitness" zuhause). Dennoch gibt es zahlreiche Personen, die sich durch einseitige Übungen körperlich kaum besser fühlen, sondern eher ausgelaugter (und dies unter vorgehaltener Hand auch beklagen). Und überlebenstechnisch oder evolutionsbiologisch bringt das Ganze natürlich auch nichts. Würde nämlich ein Krieg ausbrechen, dann helfen uns weder Muskeln noch Militär etwas, sondern nur finanzielle Mittel und mächtige Verbündete (und das Hoffen auf die Vernunft der Staatsoberhäupter). Was die Gründe auch effektiv sein mögen: Sicherlich gibt's auch Leute, die beides unter einen Hut bringen; also das geistige und das körperliche (sowie teils mentale) Training. Aber grundsätzlich haben wir ja nur eine beschränkte Zeit zur Verfügung neben der obligaten und ausfüllenden Arbeitszeit (ausser man würde natürlich ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen...). Interessanterweise handelt es sich häufig bei beidem um eine (wortwörtliche) Qual der Wahl, denn sowohl Beschäftigung mit intellektuellen Themen sowie das Fitnessprogramm erfordert eine gewisse Portion Anstrengung, wenn nicht gar Leiden. Und bei beidem verkümmert das erreichte Resultat sobald man wieder mit der regelmässigen Betätigung aufhört; die Vergänglichkeit lauert hinter jeder Ecke. Verschwenden wir also unnötig Energie? Ja. Und zwar in mehrerer Hinsicht. Denn wir müssen uns dem vielfältigen Begriff der Energie auch umweltpolitisch nähern. Das tut unser Parlament zwar auch, beweist jedoch nicht sonderlich viel Weitsicht mit dem schrittweisen Ausstieg aus dem schrittweisen Atomausstieg (Unrentabilität, mögliche Sicherheitsprobleme oder gar atomare Katastrophen wurden und werden mal wieder kollektiv verdrängt und vergessen). Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir über mögliche Stromalternativen diskutieren. Und auch wenn wir in letzter Zeit natürlich vermehrt Photovoltaikanlagen auf den Dächern spriessen sehen, so muss man die Schweiz doch immer noch als ziemlich rückschrittlich bezüglich erneuerbaren Energien bezeichnen. Gemessen an der Einwohnerzahl produziert die Schweiz nämlich im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Ländern am wenigsten Ökostrom und landet auch gesamteuropäisch auf einem der Schlussplätze. Vor allem im Bereich der Windkraft müssten wir mächtig zulegen. Doch stattdessen werden solche Projekte unter dem Vorwand des Landschaftsschutzes oder möglicher Lärmemissionen bekämpft. Dabei ist es eigentlich ziemlich irrelevant, wie elegant jetzt ein Windrad in der Landschaft aussieht (oder wie unsympathisch ein Atomkraftwerk). Eher stellt sich die Frage, wo sich diese geeigneten, durchaus effizienten Standorte denn befinden – egal wie viel Aufschrei es lokal geben mag (ich persönlich würde viel lieber ein Windrad vor meinem Haus haben als atomarer Abfall darunter – oder ausgelagert in möglicherweise unsichere Endlager ärmerer Staaten, welche wir dann für diese „nette Geste" entlöhnen). Schlussendlich müssen wir endlich den eingeleiteten, aber stockenden Paradigmenwechsel in der Energiepolitik umsetzen. Nicht nur der Umwelt, sondern auch uns zuliebe. Vielleicht gäbe es aber noch effizientere Alternativen, möglichst ökologisch Strom zu erzeugen. Und da kommen die Fitnessstudios ins Spiel; denn wieso nicht einfach die repetitiven Bewegungsabläufe der Fitnessstudio-Besucher via Dynamo oder Generator in Energie umwandeln? Die Idee liegt eigentlich auf der Hand und wird doch viel zu wenig gefördert. Im Bahnhof Lyon-Part-Dieu findet man immerhin eine kleine Kostprobe einer möglichen Umsetzung. Im hinteren Teil des Bahnhofs befinden sich mehrere Fitness-Fahrräder, mit welchen man Strom für sein Smartphone generieren kann. Dieses Prinzip der Stromerzeugung kann man übrigens auch am Amsterdamer Flughafen Schiphol nutzen. Noch vielfältigere Möglichkeiten gibt es hingegen im Green Gym Berlin im Prenzlauer Berg, welches bereits seit einigen Jahren Elektroenergie durch Muskelkraft erzeugt. Und auch wenn die Betreiber davon nicht reich wurden, so ist es doch ein innovativer und ökologischer Schritt in die richtige Richtung. Und die fleissigen Fitness-PilgerInnen würden weniger belächelt werden, sondern kriegten selbst von den grössten Sportmuffeln Anerkennung dafür, dass sie nicht nur ihren Kopf zum Glühen bringen, sondern auch die Glühbirnen darüber. Atomenergie war gestern, die Zukunft gehört dem Muckistrom.
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