Kürzlich stiess ich im Kochmagazin „Saisonküche“ auf ein Interview mit der Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). Bereits bei der dritten Frage musste ich allerdings das erste Mal leicht den Kopf schütteln. Auf die Frage, wie man ihrem Mann eine kulinarische Freude bereiten könnte, antwortete Annemarie Huber-Hotz, dass dafür ein gutes Stück Fleisch reichen würde. Gemüse, Salat und andere „Beilagen“ seien ihm unwichtig.
Zwei Fragen später verging mir dann jedoch endgültig der Appetit. Frau Lukesch, welche das Interview führte, wollte von der Präsidentin wissen, wie sie denn zu „Trends wie vegetarischem, veganem oder glutenfreiem Essen“ stehen würde und mutmasste, dass dies wohl Frau Huber-Hotz kaum interessieren würde. Bereits die Frage ist ziemlich befremdend und undifferenziert: Erstens handelt es sich bei Vegetarismus wohl kaum um einen aktuellen Trend. 1897 wurde in Zürich das erste vegetarische Restaurant gegründet, welches später von Hiltl übernommen wurde und spätestens seit den 70er Jahren als etablierte Grösse in der Schweiz gilt; was wiederum viele Nachahmer hervorbrachte. Zweitens kann man auch bei glutenfreier Ernährung grundsätzlich nicht von einem bewusstem Trend sprechen. Man mag über die zahlreichen Unverträglichkeiten denken, was man will, aber wenn ich beispielsweise in der Schule, in welcher ich unterrichte, immer mehr aufgehängte Infoblätter sehe, die allfällige Allergien oder auch "bloss" Unverträglichkeiten der SchülerInnen auflisten, so empfinde ich primär Mitgefühl für die paar SchülerInnen von mir, die an Zöliakie etc. leiden, und freue mich mit ihnen, dass es immer mehr Angebote für Personen mit einer Gluten-Unverträglichkeit gibt. Nun war ich natürlich auf die Antwort gespannt. Einerseits weil es ziemlich schwierig ist, auf eine solche in eine eindeutige Richtung zielende Frage zu antworten, und andererseits weil man als Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes ja unbestritten ein gewisses Ideal verkörpert. Die Antwort: „Ich lese solche Zeitungsartikel schon und denke, aha, eine weitere Mode. Wieder etwas, das man nicht darf. Nein, nach solchen Vorgaben richte ich mich nicht.“ Danach erklärt der Text, wie Frau Huber-Hotz die Mittagskarte während des Interview-Termins studiert und dass sie sich für die gefüllte Pouletbrust mit Pastinaken entscheidet; bevor es dann weiter zur nächsten Frage betreffend edlen Rotkreuz-Galas geht. Es gibt sicher Leute, die jetzt unbeeindruckt das Interview weiter lesen oder die ganze Aufregung nicht verstehen würden; aber wie man als Präsidentin eines so renommierten und grossen Hilfwerks in einem Kochmagazin, das von rund 725'000 Personen gelesen wird, eine so abwertende Bemerkung über Ernährungsweisen (ich bezieh mich in der Folge vor allem auf Vegetarismus und Veganismus) machen kann, die sowohl bezüglich (tier)ethischen wie auch ökologischen Kriterien vorbildlich sind, ist für mich doch ziemlich fragwürdig. In einer anderen Situation (z.B. bei einem Festanlass der Schweizerischen Volkspartei) wäre eine ablehnende Haltung bezüglich Veganismus oder Vegetarismus vielleicht nicht so gravierend oder sogar absehbar gewesen , aber bei dieser enormen Anzahl LeserInnen, die womöglich nicht alle über Tierethik, Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein reflektieren, kann eine solche Aussage sehr irreführend und stigmatisierend sein. Gerade wieder wurden Studien veröffentlicht, die zeigen, dass der Fleischkonsum noch weitreichendere ökologischere Folgen hat als angenommen und dass wir mit einer Reduktion des Fleischkonsums die angestrebten Klimaziele längstens erreichen könnten; selbst wenn der Ausstoss von CO2 und anderen Treibhausgasen im Bereich der Mobilität noch zunehmen würde. Das mag eine Präsidentin des SRK vielleicht im ersten Moment nicht so interessieren, da ihre Organisation sich dem Mensch verschrieben hat - was ich natürlich auch sehr schätze und wichtig finde. Dass aber diese ökologischen Folgen sich auch auf die Menschen in Ländern, in welchen das SRK Arbeit leistet, auswirken, scheint Frau Huber-Hotz wohl in diesem Moment nicht bedacht zu haben. Die langfristigen Folgen des Klimawandels wird das Leben in zahlreichen Ländern (z.B. Afrikas) noch weiter erschweren. Möchte das SRK also die Probleme nicht nur reaktiv, sondern proaktiv angehen, müssten Sie sich für eine Reduktion des Fleischkonsums aussprechen und nicht Vegetarismus oder Veganismus der Lächerlichkeit preisgeben. Ausserdem hat der übermässige Fleischkonsum (und auch der Konsum von tierischen Produkten generell) auch direktere und kurzfristigere Auswirkungen auf die Menschen, welchen Annemarie Huber-Hotz mit ihrer Organisation helfen möchte; beispielsweise die Rodung des Regenwaldes um Soja als Futterquelle für die Nutztierhaltung in der Schweiz anzubauen. So wird die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen in Lateinamerika, Asien usw. zerstört, da die Erträge für die Fleischproduktion in reichen Industrieländer bestimmt sind; während die Bevölkerung vor Ort Hunger leiden muss, da sie entweder gar keine Nahrung abkriegen oder diese vergleichsweise teuer für die Einheimischen ist. Dies verursacht Krankheiten und Mangelerscheinungen, die das SRK dann wiederum zu bekämpfen versucht. Natürlich kann Frau Huber-Hotz und ihre Organisation die Probleme der Welt nicht alleine lösen. Nur sollte vielleicht eine Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes, die doch gewissermassen eine Vorbildfunktion hat, sich stärker mit den Auswirkungen des Fleischkonsums, respektive den Vorteilen und Beweggründen einer vegetarischen oder veganen Ernährungsweise auseinandersetzen, und in einem Interview mit solch einer Tragweite zumindest anerkennenswertere Worte für diejenigen finden, die sich persönlich für eine ökologischere und ethischere Welt einsetzen. Viele Veganer oder Vegetarier wählen diesen nicht immer ganz einfachen und angenehmen Weg bewusst und verzichten nicht aufgrund einer vorübergehenden Modeerscheinung oder einer obskuren Diät auf den Konsum von Fleisch oder weiteren tierischen Produkten. Mit genau diesen Worten habe ich mich also bei der Präsidentin des SRK gemeldet und das Mail ebenso an die „Saisonküche“-Redaktion geschickt; denn welchen Zweck hätte meine Aufregung, wenn ich bloss am Küchentisch vor mich hin fluchte - es sei denn, Frau Huber-Hotz würde unter mir wohnen und kriegte meinen Ärger so mit (ich gehe jedoch nicht davon aus, dass die Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes in einem ordinären Mehrfamilienhaus in der Vorstadt-Einöde wohnt). Die SRK-Präsidentin antwortete mir relativ bald und entschuldigte sich für ihre etwas pauschale und harte Antwort. Sie erläuterte, dass ihr Ärger wohl von der medialen und ökonomischen Ausschlachtung dieser Entwicklungen her rührte, dass sie aber auch regelmässig vegetarische Menüs kochen würde und auch einige Leute in ihrem Umfeld hätte, welche entsprechend dieser Ernährungsweisen leben würden. Natürlich habe ich mich gefreut, dass ich eine Antwort erhalten habe (übrigens habe ich von der „Saisonküche“-Redaktion bis heute keine Rückmeldung erhalten, obwohl deren Mitarbeiterin ebenso mitschuldig für diesen Fauxpas ist; wer möchte, darf also gerne eine freundliche Mail an [email protected] schicken...); problematisch ist nur, dass diese Worte nun schon hunderttausendfach gelesen wurden, während die LeserInnen von dem Zurückkrebsen und Relativieren nichts mitkriegen werden. Und die Chance, dass sich Frau Huber-Hotz via Twitter oder SRK-Website öffentlich zur Teil-Vegetarierin bekennt, sind wohl auch nicht allzu gross. Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass die Antworten der Präsidentin des Schweizerischen Roten Kreuzes bei einem nächsten Interview zum Thema Ernährung wohl nicht so plakativ und unüberlegt sein werden, und bei einer ähnlichen Frage an die Worte des renitenten Jungspunds denken wird, der aufmerksam über ihr schwebend zuschaut wie die Inkarnation des schlechten Gewissens.
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