Was schreibt man, angesichts einer solchen (politischen) Tragödie? Diese Frage stellte ich mir bereits, als Donald Trump wider aller Erwartungen zum Präsidenten gewählt wurde. Und ich stellte sie mir nach den Terror-Anschlägen in Paris. Und nun muss ich sie mir also auch wieder nach der Abstimmung über die Verfassungsänderung in der Türkei stellen. Abgesehen von der Sprachlosigkeit und der Trauer/Wut über solche Ereignisse unterscheiden sich die drei Situationen gleichwohl: Bei den islamisch motivierten Attentaten konnte man darauf hoffen, dass es sich dabei nur um eine einmalige Angelegenheit handelte, die sich hoffentlich so bald nicht wiederholte. Bei der Wahl des neuen US-Präsidenten hingegen konnte man zumindest noch darauf hoffen, dass dadurch die in Lethargie verfallene Zivilgesellschaft und ein neuer politischer Aktivismus erwachen könnte oder dass das ganze politische (Wahl-)System der Vereinigten Staaten hinterfragt würde. Der Verabschiedung der türkischen Verfassungsreform letzten Sonntag können hingegen wohl nicht einmal irgendwelche Alt-Right-WählerInnen etwas Positives abgewinnen. Im Gegensatz zur politischen Situation in den USA war nämlich die Demokratie in der Türkei schon lange am Boden zerstört gewesen. Die Annahme des Referendums war lediglich der endgültige Todesstoss eines in einer Jagdfalle gefallenen und langsam verhungernden Tiers, mit dessen Pelz sich Erdogan nun schmücken wird. Und im Gegensatz zum amerikanischen Wahlausgang übt sich die Welt auch nicht im Staunen und rätselt über dessen Gründe, da man ja ahnte, dass Erdogan den politischen Kampf gewinnen würde. Immerhin wurde die Nein-Kampagne massiv bekämpft, jegliche Demonstrationen heftig zerschlagen, in dem letzten Jahr allein knapp 100'000 staatskritische Beamte entlassen, die Einführung der Todesstrafe vorangetrieben sowie liberale und progressive Kräfte bedroht, eingesperrt oder gar umgebracht. Die Abschaffung der Demokratie war also lediglich die logische Konsequenz dessen, was sich in den letzten Jahren politisch in der Türkei abgespielt hatte. Was also schreibt man, angesichts einer solchen politischen Tragödie? Vielleicht am besten gar nichts. Stattdessen lasse ich lieber den Geist Charlie Hebdos auferstehen und verknüpfe ihn mit der provokativen Plakat-Aktion bei der kürzlich stattgefundenen Kundgebung in Bern. Zugegeben: Subtil war die „Kill-Erdogan“-Aktion jetzt nicht so richtig. Andererseits: Der Zusatz „with his own weapons“ lässt das Ganze doch etwas politischer und durchdachter erscheinen, als so manchem Plakat-Kritiker lieb wäre, die die Aktion bloss als pubertären Unsinn abgetan haben. Auch wenn ich nicht das Gefühl habe, dass Erdogan und die Mehrheit seiner zahlreichen Anhänger mit Intellektualität viel anfangen können, versuchte ich mich gleichwohl mit einer philosophischeren, subversiveren Version des Plakats, so dass [mir] nun aber auch wirklich niemand Aufruf zu Gewalt und Mord vorwerfen kann. Dafür ist das Coverbild dieses Blogbeitrags, welches offensichtlich durch Philippa Foots' Trolley Problem und Jan Böhmermanns Schmähgedicht inspiriert wurde, hoffentlich nämlich viel zu verzwickt. Deshalb abschliessend bloss diese letzte Frage: Wie entscheidet man sich, angesichts einer solchen (politischen) Tragödie?* *Nun habt ihr sogar die Möglichkeit, teilzunehmen an dieser "politischen Entscheidung" respektive demokratischen Abstimmung! :-D
Da leider die Umfrage-Funktion auf Facebook gestrichen wurde, müsst/könnt ihr halt hier oder auf FB via Kommentarfunktion mit "JA" oder "NEIN" antworten. Hier die Ausgangssituation: Angenommen eine Strassenbahn würde in Richtung Erdogan fahren. Da er zu beschäftigt mit seinen Plänen für ein neo-osmanisches Reich ist, hört er eure Warnrufe nicht. Ihr habt aber die Möglichkeit, die Weiche umzustellen und Erdogan zu retten. Dabei würdet ihr aber den Tod dreier unschuldiger Ziegen (eine davon ist übrigens noch trächtig und kriegt bald zwei kleine süsse Ziegenbabys :-O) in Kauf nehmen. Abstimmungsfrage: Würdet ihr die Weiche stellen? ;-)
1 Comment
Socke (aka Sokrates)
25/4/2017 05:14:39 am
Weiche stellen? Ähm, nope.
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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