Okay, der Titel klingt jetzt eher nach einem dicken, verstaubten Buch aus einer Zeit viele Jahre vor der Reformpädagogik...
Doch mir geht es hier um was Anderes: Wieso handeln Menschen so, wie sie handeln? Einige meiner Freund*innen sind der Meinung, dass ein grosser Teil der Bevölkerung ihr Verhalten gewissen moralischen Idealen vor allem deshalb nicht anpasst, weil sie zu wenig Wissen hätten; also weil einige Personen in diversen Lebensbereichen noch zu wenig aufgeklärt seien. Ist dies der Grund, wieso zum Beispiel noch so wenig Leute vegan leben, obwohl es unglaublich viele sinnvolle und vernünftige Gründe dafür gäbe? Auch wenn ich diese These durchaus unterstütze – beispielsweise wissen viele Leute nicht, dass ca. 60% der Schweine in der Schweiz nie Tageslicht zu Gesicht kriegen oder dass die meisten Nutztiere in der Schweiz im Kindesalter geschlachtet werden, würde man ihre effektive Lebenserwartung bedenken –, so glaube ich nicht, dass dies der einzige Grund für ihr Nicht-Handeln ist. Wir brauchen nicht zwingend mehr Wissen. Wir brauchen vor allem mehr Disziplin. Vor einiger Zeit las ich im „Magazin“ ein Interview mit dem bekannten Neurowissenschaftler David Eagleman, welcher sich zum Thema Tiere und ihre Fähigkeit zu fühlen äusserte. Darin erklärte er, dass er Veganismus grundsätzlich gut und sinnvoll fände, aber es halt einfach so schwierig umzusetzen sei. Auch der bekannte Philosoph Richard David Precht, der mit „Tiere denken“ ein sehr starkes Plädoyer für mehr Tierrechte und weniger Fleischkonsum schrieb, musste sich in diversen Interviews rechtfertigen, wieso er denn selber nicht vegan lebe. Offenbar sind also auch Leute, deren Wissen über Tierethik oder Ökologie sehr fundiert sind, nicht gefeit davon, inkonsequent zu handeln. Hier kommt womöglich die mangelnde Disziplin (sowie natürlich auch der fehlende Wille) ins Spiel: Würden wir unsere Verhaltensänderung ähnlich ambitioniert anstreben wie unser Ziel mehr Fett zu verlieren oder mehr Muskeln zu generieren, unsere Liebe zu erobern oder für eine wichtige Abschlussprüfung zu lernen, dann wäre die Welt schon längst ein besserer Ort. Spätestens wenn es jedoch um moralphilosophische Themen geht, macht sich unser blinde Fleck hinsichtlich der Disziplin bemerkbar – immerhin müssen wir ja schon immer pünktlich zur Arbeit erscheinen, Steuererklärungen ausfüllen, Rechnungen zahlen, abstimmen gehen oder den Haushalt schmeissen. Da darf man doch wohl etwas träge sein, wenn es um Ernährung, Mobilität oder Konsum geht. Es lebe die Faulheit! Vielleicht wäre es also an der Zeit, dass wir eine ausgeprägte Selbstdisziplin als erstrebenswerte und vielleicht eben sogar essenzielle Charaktereigenschaft betrachten – so wie wir natürlich auch die Fähigkeit zum kritischen Denken stärker fördern sollten. Besonders auch im Bereich der Bildung sollten diese Ziele mehr Gewicht haben. Weniger (Fach)Wissen eintrichtern, dafür mehr globale Fähigkeiten erlernen. Denn was bringt uns das Wissen, wenn wir daraus keine Handlungskonsequenz ableiten können? Die gute Nachricht ist: In vielen von uns steckt diese Kompetenz bereits. Nur sind viele von uns (noch) nicht in der Lage, sie global anzuwenden und zu übertragen. Deshalb erkläre ich euch jetzt nicht noch einmal, wieso es aus ökologischen, sozialen, ethischen oder ökonomischen Gründen notwendig wäre, weniger Billigkleider zu kaufen (und stattdessen mehr Fair Fashion Labels zu unterstützen), weniger Fleisch und tierische Produkte zu verzehren (schon mal die marinierten Soja-Medaillons für den Grill probiert?), weniger technische Geräte zu kaufen (und wenn, dann möglichst langlebige und reparierbare), weniger zu fliegen (und nachhaltiger mit Zug, Fahrrad oder zu Fuss zu reisen) etc. pp. Nein, ich sage euch: Get your shit together and be more disciplined! Klar, am Anfang erscheint Vieles zwar hart (vielleicht gar unmöglich...), aber mit der Zeit gewöhnt man sich an so ziemlich alles. Und ist das Verhalten erst einmal angepasst, bedarf es insgesamt auch gar nicht mehr so viel Disziplin. Denn das Schöne an der Selbstdisziplin ist ja, dass sie nur zu Beginn sehr anstrengend und schwer umsetzbar ist. Hat man sie jedoch mal ins Herz geschlossen, so wird sie dir ein treuer Begleiter sein.
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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