Ganz ehrlich: Die ganze Sache mit der Heiratsstrafe oder -belohnung ist mir eigentlich ziemlich egal. Vordergründig geht es nämlich nur um finanzielle Interessen und keine Verletzung der Menschenrechte (siehe vergangene Blog-Beiträge).
Würde mich dennoch jemand fragen, wie ich mir eine faire Besteuerung von Paaren – egal, ob wir jetzt von einer Ehe oder einem Konkubinat ausgehen – aussehen sollte, dann wäre ich dafür, dass es weder Strafe noch Belohnung gibt. Ich sehe nicht ein, wieso das eine oder das andere finanziell bevorzugt werden soll. Also wenn wir gegen eine Abschaffung der Heiratsstrafe poltern, dann konsequenterweise auch gegen eine Belohnung. Und bitte auch bei Konkubinaten und anderen zeitgenössischen Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens. Also könnte man gleich eine Individualbesteuerung einführen, die – meines Erachtens – die am gerechteste Form von Besteuerung ist. Genau dies will die Initiative aber verunmöglichen. Es spricht also nicht viel für eine Annahme. Nun gibt es da aber noch diese „Nebensächlichkeit“, die dafür sorgt, dass auch in dieser Volksinitiative genügend Zündstoff drin ist, nämlich die für die Verfassung bestimmte Definition der Ehe als „Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“ (genauer Wortlaut im Initiativtext). Diskriminierung mit Diskriminierung zu bekämpfen hielt ich jedoch noch nie für eine sonderlich sinnvolle Strategie. Selbst wenn wir über die Klimaziele im Kampf gegen die globale Erwärmung abstimmen würden (ein deutlich wichtigeres Anliegen als jenes der CVP-Initiative), könnte ich diese Initiative nicht annehmen, da sie im Bereich der Gleichberechtigung einen deutlichen Rückschritt in unserem Streben nach Aufklärung und ethischer Entwicklung bedeuten würde. Die vorliegende Initiative betrifft ja aber nicht die ganze Menschheit wie die von uns verursachte Rodung des Regenwalds, die Überfischung der Meere oder die Klimaerwärmung, sondern nur eine 2-%-Minderheit der Schweiz (also jene Paare, die beide je über 84'000 Franken jährlich verdienen). Die von der CVP formulierte Definition der Ehe würde jedoch zwischen 3 bis 10 % der Bevölkerung betreffen, nämlich jene Zahl der Homo-, Bi- oder Transsexuellen, die in der Schweiz leben. Die prozentuale Diskriminierung würde also gar zunehmen. Nicht nur das: Die Annahme würde ein dauerhaftes Ehe-Verbot für Homosexuelle in der Verfassung verankern. Um ein ähnliches Gesetz zu finden, muss man im aufgeklärten Europa (abgesehen vom rückständigen Italien - Berlusconi-Ära sei Dank) schon weit reisen und landet schliesslich bei Ländern wie Ungarn oder Russland – und wer will tatsächlich mit Putin oder Orban verglichen werden? (Wer bei dieser rhetorischen Frage gleichwohl zustimmend reagiert, sollte sich ernsthaft überlegen, sich freiwillig auszuschaffen.) Ich weiss, ich weiss... Langsam haben wir genug über die bevorstehenden Abstimmungen zu den Initiativen gelesen. Und ein beachtlicher Teil der Bevölkerung scheint indes auch komplett immun geworden (oder geboren worden?) zu sein, was rationale Argumente betrifft. Aber es kann eigentlich nie genug darüber geschrieben werden; vor allem dann nicht, wenn es um richtungsweisende Entscheide in unserer Demokratie geht. Ich möchte den heutigen Beitrag deshalb mit einem kleinen Exkurs enden, der mit einer womöglich ähnlich kleinen Bewegung begann, die – im Vergleich zur CVP-Initiative – jedoch ungemein wichtiger war in der Geschichte der Menschheit: Die Schwulenbewegung in den USA. Denn auch wenn viele aufgeklärte Bürger dies nicht nachvollziehen können: Homosexuelle gelten für einige ungebildete oder unempathische, in der Schweiz lebende "Primaten" leider immer noch nicht als normal und akzeptiert. Und das ist womöglich auch das Problem an den Gegenkampagnen der CVP-Initiative; denn es reicht nicht, dass wir darauf aufmerksam machen, dass die Initiative faktisch ein Homo-Ehe-Verbot einführt – einigen Leuten wäre dies vermutlich sogar gerade recht. Wir müssen stattdessen zeigen und erklären, dass es absolut irrelevant ist, welches Geschlecht man liebt, als welches Geschlecht man sich fühlt und ob man sich überhaupt mit einem Geschlecht identifizieren kann (bei Letzterem stehen wir allerdings erst ganz am Anfang eines öffentlichen Diskurses). Die beste Möglichkeit bietet sicherlich der direkte Kontakt mit Homosexuellen, was praktisch ausnahmslos zum „Ah, du bist ja gar nicht so wie all' die Anderen“-Moment führt (übrigens wie meistens auch beim Kontakt zu Personen anderer ethnischer Herkunft oder Menschen mit anderen Ernährungsweisen – oder allgemein gesagt: wie bei allem Fremden). Da dies vielleicht logistisch aber nicht immer möglich ist, kann man ganz einfach auf die Geschichte ausweichen. Leider sind nicht alle gleichermassen an Geschichtskunde interessiert, weshalb ich diesen Leuten das Biopic „Milk“ empfehle. Dieser empfehlenswerte Film handelt von Harvey Milk, dem ersten Politiker der USA, der sich offen als schwul outete. Und es wird ziemlich eindrücklich gezeigt, in welcher diskriminierenden Gesellschaft sich die Homosexuellen (und die amerikanische Gesellschaft generell) bewegten: unbegründete Gewaltanwendung und rigorose Festnahmen (jegliche „homosexuelle Handlung“ fiel damals unter das sogenannte Sodomiegesetz), öffentliches Schikanieren, fristlose Kündigungen von Miet- oder Arbeitsverhältnissen. Ganz ehrlich: Schaut euch diesen Film an. Es geht nämlich nicht um eine Verherrlichung der Homosexualität und das Blossstellen des homophoben, erzkonservativen Amerikas. Harvey Milk spielte auch nicht immer mit ganz fairen Mitteln, besonders nicht im Umgang mit seinem politischen Kontrahenten Dan White – immerhin war er nicht nur Bürgerrechtler, sondern auch Politiker. Der Film schafft es hingegen aufzuzeigen, wie irrelevant angeborene Eigenschaften wie sexuelle Orientierung oder ethnische Herkunft sind, und dass eine Diskriminierung aufgrund solcher Faktoren nichts in unseren Gesetzen zu suchen hat. Und schliesslich versteht es der Film auch, einen differenzierten Blick auf die Liebe und ihren omnipräsenten Widersacher, den Hass, zu werfen (wobei mindestens ersteres doch ganz toll zum Valentinstag passt; obwohl das Thema "Liebe" im Film glücklicherweise nicht so rührselig und kitschig wie bei der Vermarktung des 14. Februars dargestellt wird). Aber wie gesagt: Schaut euch einfach den Film an. Und stimmt NEIN zur CVP-Initiative am 28. Februar. P.S. Aus Zeit- und Platzgründen nur ganz kurz: - NEIN zur 2. Gotthardröhre (es gäbe massiv kostengünstigere und sinnvollere Alternativen; zudem müssten wir eigentlich von der bereits 4. Röhre sprechen...) - JA zur Spekulationsinitiative (ich glaube, die Finanzkrise als Folge exzessiver Immobilienspekulationen sollte uns gezeigt haben, dass man nicht auch noch mit Lebensmitteln pokern sollte)
1 Comment
Lisa
14/2/2016 08:45:30 am
Empfehlenswert zum thema homosexualität auch: The Imitation Games. Handelt vom leben von alan turing. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Alan_Turing. Unfassbar, was diesem menschen angetan wurde.
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