Es gibt Dinge, über die spricht man eher ungerne.
Eines dieser Tabuthemen ist der Tod. Egal, ob es um Hungertote in Entwicklungsländer geht, um geschredderte Küken in der Eierindustrie oder einfach den natürlichen Tod von älteren Mitmenschen – die meisten Personen versuchen diesen unangenehmen Gedanken aus dem Weg zu gehen. Nun mag diese Tatsache vermutlich die wenigsten Leser*innen erstaunen. Viel spannender ist deshalb folgende Überlegung in Zusammenhang mit dem Tod: Wie soll eigentlich die eigene Beerdigung mal aussehen? Als ich vor einigen Jahren mal an einer Beerdigung war, hatte ich genau diesen leicht makaberen Gedanken und kam zum Schluss, dass, wenn ich mal das Zeitliche segnen sollte, ich auf die klassische Zeremonie in der Kirche verzichten möchte. Klar, ich kriege das ganze Prozedere dann sowieso nicht mehr mit und man könnte allerhand pietätslose Dinge mit mir anstellen; mir würde es sowas von egal sein… Gleichwohl ist die Vorstellung absurd, dass eine wildfremde Person – dazu noch ein Pfarrer – versuchen sollte, mein Leben für alle Anwesenden zusammenzufassen (wie dies eben bei der letzten Beerdigung der Fall war, an welcher ich zugegen war). Wenn schon jemand eine Rede halten sollte, dann bitte diejenigen, die viel Zeit mit mir verbracht haben! Ein weiterer Grund, der gegen (m)eine Abdankung in der Kirche spricht, ist, dass ich seit meiner Geburt eigentlich nie freiwillig in einer Kirche war – mal abgesehen von ein paar Besuchen in ausländischen Kirchen als Tourist: Weder bei der Taufe (wurde ich überhaupt getauft?), noch während der «kirchlichen Unterweisung» und der anschliessenden Konfirmation (mir ging es vor allem um die Geschenke und das Geld… #Jugendsünde #Beichte) habe ich das Gotteshaus aus freien Stücken betreten. Später gab’s dann zwar noch Beerdigungen und vielleicht sogar mal vereinzelt eine Hochzeit, wo mein kirchlicher Besuch allerdings auch höchstens extrinsisch motiviert war. Versteht mich nicht falsch: Kirchen waren Jahrtausende lang zentrale Orte des gesellschaftlichen Treibens und sind heute noch häufig faszinierende architektonische Meisterleistungen aus einer vergangenen Zeit. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass die Wichtigkeit solcher Gebäude respektive der Institution Kirche generell am Schwinden ist (obwohl diese Entwicklung in Zeiten von Klimakrise, Pandemie etc. teilweise gebremst wird; Glaube ist immer ein verlockendes Refugium in einer Welt voller Sinnlosigkeit und Schmerz). Aber zurück zu meiner fiktiven Beerdigung: Nein, ich möchte in einem anderen Rahmen verabschiedet werden. Nicht in der Kirche. Irgendwo anders… Wie wäre es zum Beispiel mit einer alternativen Cocktail-Bar als Abdankungsort? Naja, auch wenn vielleicht der eine oder andere Gast seine Trauer im Alkohol ertränken möchte, käme die Idee wohl insgesamt nicht so gut an bei meinen Mitmenschen (aber vermutlich immer noch besser als eine Leichenschau in einem veganen Restaurant). Dann halt in der Natur? Wäre doch sicher noch stimmungsvoll und ein schönes Symbol für unsere ursprüngliche Herkunft, bevor wir sie durch Digitalisierung, Urbanisierung und Co. teilweise vergessen haben… Aber ja, das Ganze wäre dann vielelicht auch ein bisschen zu ordinär und durchschaubar für meinen Geschmack. Ausserdem bliebe immer noch die Frage im Raum stehen, wo genau in der Natur ich denn eigentlich die Abdankung haben möchte; man kann ja wohl nicht einfach einen Ort wie die Engstligenalp im Berner Oberland reservieren (von der beschwerlichen Anreise für alle Besucher*innen brauchen wir gar nicht erst zu sprechen). Vielleicht ein Ausstellungsraum für wechselnde, zeitgenössische Kunst? Ich bin zwar nicht (mehr) ein regelmässiger Museumsgänger, aber hey, Kunst geht immer! Andererseits hat eine ähnliche Aktion sicher schon irgendein*e crazy Künstler*in bereits gemacht und dann wäre das Ganze nur ein lahmer Abklatsch einer längst umgesetzten Idee. Also dann vielleicht in einem Sitzungsraum einer NGO? Ich habe allerdings nicht diese EINE Organisation, mit der ich mich komplett verbunden fühle; vermutlich weil ich in meinem Leben schon auf zu vielen Hochzeiten (nicht wortwörtlich!) getanzt habe. Wie dem auch sei: Über das «wo», also die genaue Location, können ja dann Familie, Friends usw. demokratisch abstimmen. Wichtiger ist nämlich das «wie» – und dazu kam mir eines Nachts eine Idee... Und zwar könnte man einen neutralen Raum mieten und ihn mit Matten und Matratzen auslegen (ich würde das auch mit meinem Erbe quersubventionieren ;)). Vielleicht würde sich auch eine kleine Turnhalle eignen, da dies nicht nur aufgrund des Inventars praktisch wäre, sondern auch eine Art «Circle of Life» darstellen würde; immerhin ist die Turnhalle ein Ort der Kindheit, wo ich als Fussball-vernarrter Jugendlicher viel Zeit verbracht hatte; sowie ein Ort der Bildung, was ja auch in meinen Erwachsenenjahren stets ein zentraler Pfeiler meines Lebens sein sollte (also mehr die Aula als die Turnhalle, aber sei’s drum). Anyway, sobald dieser Raum gemütlich und bequem eingerichtet ist [-> Auftrag für Esteban], so dass man dort Lust kriegt, etwas länger zu verweilen; soll mein alter iPod (wenn er denn dann noch unter uns weilen sollte… ansonsten tut es notfalls auch mein MacBook – obwohl dieses wohl weniger beseelt ist als ein archaischer, klobiger iPod aus vergangenen Zeiten) über eine qualitativ hochwertige Soundanlage [-> Auftrag für Fabian] abgespielt werden. Und zwar nicht einfach ein paar Lieblingslieder. Nein. Die ganze Ladung. Also alle 4732 Songs (Stand: Ende 2021). Wenn man nun bedenkt, dass die Durchschnittslänge dieser Songs bei ungefähr 4 Minuten liegt (in den aktuellen Charts ist diese übrigens bereits auf unter 3 Minuten gesunken [was wohl auf den Qualitätsverlust und die Schnelllebigkeit der heutigen Musik hinweist]; bei mir finden sich jedoch auch einige Werke, die deutlich über 10 Minuten gehen), dann kommt man auf eine Gesamtspielzeit von ungefähr 18'928 Minuten, was wiederum knapp 315 Stunden entspricht. Das wären fast zwei Wochen nonstop Musik. Meine Beerdigung würde also zu einer Art zweiwöchigen Musik-'Festival' mutieren. Ganz ernsthaft: Klingt so ein Abdankungsrave nicht verlockender als eine kirchliche Zeremonie in einem kalten Gebetssaal? Nun gibt es aber noch einen kleinen Twist, was die Anordnung der Songs anbelangt. Denn: Wie das Leben auch manchmal seltsame Wege geht und sich teilweise nur bedingt beeinflussen lässt, möchte auch ich dem Prinzip des Zufalls Rechnung tragen – immerhin will ich ja nicht jeden Aspekt meiner Beerdigung wie ein Kontrollfreak durchplanen. (Schreibt der Typ, der gerade seine eigene Beerdigung prophylaktisch und minutiös ausarbeitet... ;)) Deshalb soll mein iPod via «Random»- resp. «Shuffle»-Mode abgespielt werden. Es kann also sein, dass die Zeremonie dann mit einem Stück eröffnet wird, dass mir eigentlich nur bedingt am Herzen liegt – womöglich sogar mit einem fürchterlich dissonanten Werk, das die Hörer*innenschaft verstören wird. Vermutlich folgt danach ein komplett anderer Musikstil, der mit dem Stück davor radikal bricht; vielleicht ein andächtigeres Werk. Vielleicht auch nicht. Jedes Musikstück mutiert zu einer kollektiven Überraschung. Es kann jedoch auch sein, dass diese willkürliche Abfolge von Musikstücken in unseren Köpfen dann letztendlich eben doch irgendwie Sinn ergibt: Auf die unangenehme Anspannung folgt die süsse Auflösung. Die (Zufalls)Musik als Metapher für das Leben selbst. (Da wären wir übrigens wieder bei unserem Wunsch nach Bedeutung, nach einem Sinn in der Sinnlosigkeit). Das Ziel wäre übrigens nicht, dass man dann zwei Wochen in diesem Raum verbringt, sondern eher kommt und geht, wie es einem gerade passt. Das bedingt allerdings auch, dass diese (Turn)Halle 24/7 zugänglich sein müsste (wieder ein weiteres Problem für die Nachwelt). Den Gedanken, dass man keinen Plan hat, ob gleich eine komplexe Jazz-Komposition abgespielt wird, ein orchestrales Werk aus der «Final Fantasy»-Reihe oder eine ruhige Piano-Ballade, die ich vielleicht sogar selber komponiert habe, finde ich irgendwie schön und magisch, in gewisser Weise auch etwas tröstend. Und was mir an diesem Gedankenexperiment auch gefällt: Jeder Abschied ist individuell. Dass «ich» (ich existiere ja nur noch durch meine Musik-Playlist) wohl die meiste Zeit «alleine» wäre (ich gehe nicht davon aus, dass zu jeder Uhrzeit jemand bei meinem künstlerischen Beerdigungs-Happening am Musik hören wäre), ist für mich auch völlig in Ordnung. Ist ja irgendwie im Leben auch so: Wir sind letztendlich einsame, umherwandelnde Gedankenwesen in einem endlichen Körper. Und ausserdem würde mein postmortaler Geist – sollte er denn existieren (was ich bezweifle) – ja sowieso nie «alleine» sein. Denn die Musik begleitet mich ja permanent. So wie sie es im Leben auch stets gemacht hat. Die vermutlich treuste Begleiterin, die ich je hatte… Ob die Umsetzung dieser Idee dann auch tatsächlich so reibungslos verlaufen würde, wie ich sie mir hier vorstelle, sei jetzt mal dahingestellt… Aber hey, das wird dann nicht mehr mein Problem sein. Hauptsache ich habe mir jetzt schon mal (unnötig) viele Gedanken gemacht, was vielleicht so in etwa fünfundvierzig Jahren sein könnte. Eines ist jedenfalls sicher: Ich lasse lieber die Musik meine Abdankung sprechen als irgendeine fremde Person in einem schwarzen Kittel. Amen and out.
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