Es sind Fragen wie diese, die ich häufig gestellt kriegte, als ich mich im Rahmen meines Projekts #NoFurX in den letzten Monaten intensiv für ein Pelz-Importverbot in der Schweiz einsetzte:
„Aber was ist mit Leder?“ „Was ist denn mit Kinderarbeit?“ „Und was ist denn mit der Ernährung: Essen Sie nie Fleisch?“ Manchmal gab es auch Variationen von diesen oder ähnlichen Fragen, aber sie hatten stets eine Gemeinsamkeit: Das Gegenüber lenkte damit vom eigentlichen Thema ab. What about... In den Staaten hat sich für diese Form von „Gesprächsunkultur“ sogar ein Begriff gebildet: Whataboutism. Damit wird eine ziemlich perfide (da häufig effiziente) und in den letzten Jahren vermehrt verwendete Kommunikationsstrategie genannt, in welcher der Fokus eines Gesprächs auf ein neues, zumeist ebenfalls problematisches Thema verschoben wird, um dadurch vom ursprünglichen Thema abzulenken. Dies führt meistens dazu, dass sich die ganze Diskussion verwässert, weil man plötzlich nicht nur eine Lösung für ein einziges Problem suchen muss, sondern zahlreiche Antworten auf unzählige Fragen. Die Probleme addieren sich dann quasi zu einem unbezwingbaren "Problemberg", welcher nur wagemutige, gut ausgebildete „Bergsteiger*innen“ bewältigen können. Die Komplexität einer globalisierten Welt spielt dieser Strategie natürlich in die Hände, so dass man schnell mal ebendiese Hände über dem Kopf zusammenschlägt, die Lösungsfindung an philosophisch geschulte, politisch aktive Super-Ökonomen mit PhD delegiert und selber in Resignation und Passivität verfallen kann. Whataboutism tritt natürlich nicht nur im Bereich der Mode auf: Bei der Ernährung hört man in Diskussionen über die Ökobilanz von Fleisch und anderen tierischen Produkten beispielsweise häufig als Gegenangriff, dass ja Palmöl, Avocados, Mangos und Co. auch nicht gerade ökologisch sind. Dies stimmt grundsätzlich schon; aber nicht jede Veganerin und jeder Veganer ernährt sich ausschliesslich von Chia-Samen, Quinoa und Co. (ich würde sogar soweit gehen und die These aufstellen, dass vegan-lebende Menschen tendenziell sensibilisierter auf Umweltthemen sind und daher auch bei nicht-tierischen Lebensmitteln verstärkt auf deren Herkunft oder Klimabilanz achten). Auch in der Politik ist Whataboutism stark verbreitet. Man erinnere sich an den amerikanischen Wahlkampf, wo etliche Angriffe auf Donald Trump mit einem Verweis auf „Crooked Hillary“ abgeschwächt wurden. Aber auch nach dessen Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde ein grosser Teil der (berechtigten) Kritik an ihm und seinem republikanischen Gefolge mithilfe dieser Strategie zu vertuschen versucht. Und kürzlich konnte man auch wieder in den Berichten zum Entscheid des Bundesgerichts über die Abschaffung der viertelstündlichen Glockenschläge in der Nacht ein ähnliches Verhalten beobachten: Da wurden die nächtlichen Lärmemissionen seitens der Kirche kurzerhand mit Flughäfen, Bahnhöfen, lebendigen Stadtvierteln etc. verglichen (auch wenn dieser Vergleich ziemlich hinkt, da ein Flughafen ohne Emissionen kaum funktionieren kann – im Vergleich zur Kirche, wo die (nächtlichen) Schläge mühelos ausgelassen werden könnten). Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man sich diesem psychologischen Trick (es ist übrigens bei weitem nicht der einzige, der in moralphilosophischen Diskussionen rege genutzt wird; dazu aber vielleicht in einem späteren Beitrag mehr) entgegenstellen kann – immerhin löst sich ein existierendes Problem durch passives Ignorieren nicht. Eine Möglichkeit ist sicherlich das Ansprechen dieser Kommunikationsstrategie auf einer Meta-Ebene. Dadurch wird das fadenscheinige Argument des Gegenübers (im besten Fall) zunichte gemacht und man kann sich wieder auf das Thema konzentrieren. Klar, die Entlarvung dieser heimtückischen Kommunikationsstrategie kann jedoch auch dazu führen, dass sich das Gegenüber unterlegen und bevormundet fühlt (man bedenke: Grundsatzdiskussionen sind eine höchst emotionale Sache), weshalb man bei einer solchen Angelegenheit mit viel Feingefühl vorgehen muss. Man könnte aber auch einfach das Gespräch zurück auf das Problem lenken, ohne dass man den „Whataboutism“ überhaupt anspricht (im Stile von: „Okay, das sind tatsächlich auch Probleme, welche wir lösen sollten, aber bleiben wir doch zuerst mal bei Thema XY und kümmern uns danach um alles andere...“). Ebenfalls zentral ist das Benennen einer sinnvollen und tatsächlich umsetzbaren Alternative. Wenn wir also nur Kritik ohne einen konkreten Lösungsvorschlag äussern, sind die Erfolgschancen gering. Das bedeutet leider nicht, dass wir durch die Verfügbarkeit von Alternativen ein vorliegendes Problem ausmerzen können. Um bei unserem Thema vom Beginn des Blogposts zu bleiben: Die blosse Existenz eines Kunstfellbesatzes führt nicht zwingend dazu, dass kein Echtpelz mehr gekauft wird. Als letzter zentraler Punkt bleibt dennoch zu nennen, dass wir uns eine möglichst weisse Weste (am besten aus Fairtrade-zertifizierter Bio-Baumwolle!) beschaffen müssen. Denn auch wenn beispielsweise ein Leder-tragender Omnivore durchaus das Recht haben sollte, auf die Probleme hinter der Pelz-Industrie hinzuweisen, wirkt eine Kritik authentischer und aufrichtiger, wenn die kritisierende Person dem kritisierten Gegenüber möglichst wenig Angriffsfläche bietet.
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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