Im Rahmen des Wintergrillfests 2018 der Tierrechtsorganisation tier-im-fokus habe ich dieses Märchen geschrieben, welches ich euch nicht vorenthalten möchte. Viel Spass beim (Vor)lesen! :-) Es war einmal ein Prinz.
Nein, es war eigentlich mal ein Pilz. Ja, genau, so ein charismatischer und kluger Pilz im Wald. Der hatte es ziemlich gut und verstand sich auch prima mit den anderen Waldbewohner*innen. Mit den Wildschweinen, dem Kuckuck, den Rehen, mit Füchsen, Hasen, Würmern und Ameisen; aber auch mit allen Bäumen, Sträuchern und Blumen, die ihn so umgaben. Eines Tages hörte er jedoch ein lautes Knallen in der Ferne. Er erschrak sehr und schaute sich um – naja, zumindest so gut das für einen Pilz überhaupt möglich ist... Jedenfalls war für ihn anfangs gar nicht ersichtlich, von wo denn der Krach eigentlich überhaupt herkam. Er spürte nur, dass viele Waldbewohner*innen in Aufruhr waren und die Stimmung plötzlich nicht mehr so unbesorgt und zufrieden war. „Kann mir mal jemand sagen, was hier vor sich geht?“, wandte sich der Pilz an den Farn. Doch dieser rollte sich sogleich verängstigt zusammen und schwieg. Auch die Schnecke schien nicht antworten zu wollen und verkroch sich in ihr Häuschen. Ja, selbst der üblicherweise so vorlaute Kuckuck war auf einmal verstummt. Da hörte er erneut ein ohrenbetäubendes Geräusch – nicht weit von ihm entfernt –, gefolgt von einer unheimlichen Stille. Doch plötzlich vernahm er Geräusche von brechenden Zweigen und knackenden Ästen am Boden und sah wie ein Schatten in dem Gebüsch vor ihm immer näher kam. „Oh je, wer dies wohl sein könnte...“, fragte sich der Pilz leicht verängstigt. Das Rascheln der Blätter wurde immer lauter und der Pilz wagte gar nicht hinzuschauen... Doch es war nur Bambi, welches ihm humpelnd und fluchend entgegen kam. „Schhhhhhhh...nell, du musst mir helfen! Der Jäger ist hinter mir her! Meine Mami und viele Andere hat's leider schon erwischt... Offenbar ist der Wald nun wieder voll mit Menschen, die aus Spass töten wollen. Ich verstehe das nicht... Wissen die denn nicht, dass wir auch leben wollen und eine Familie haben?!“ Der Pilz zuckte traurig mit den Schultern und auch der Uhu, der sich auf einem Ast hoch oben in der Tanne versteckt hatte, schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie können wir dir helfen, Bambi?“, fragte der Pilz. Da meldete sich die Kellerassel voreilig zu Wort, welche unter einem Blatt hervor lugte: „Du könntest doch das Eichhörnchen zu deinen Kumpel, dem Fliegenpilz, schicken, damit es ihn so anfärbt wie ein Steinpilz? Dann essen ihn die Jäger womöglich und kriegen dann mächtig Bauch-schmerzen! Hahaha“, freute sich die Kellerassel schelmisch. „So sehr ich den Jägern eine Magenverstimmung gönnen würde; ich glaube nicht, dass dies ein guter Plan ist. Denn was ist mit den netten Spaziergängern, die vielleicht den vermeintlichen Steinpilz dann essen könnten? Oder den Kindern des Jägers? Haben die das Leiden verdient?“, erwiderte der Pilz. Die Kellerassel schaute leicht beschämt auf den Boden. „Ausserdem müsste dann euer Kumpel, der Fliegenpilz, ja auch sterben!“, stellte der Uhu erschrocken fest. „Ach...“, entgegnete der Pilz, „wir leben ja glücklicherweise weiter, auch wenn man uns enthauptet; wir haben ja ganz viele, kleine Würzelchen, wodurch wir dann halt woanders wieder hervorkriechen könnten. Und ausserdem: Für dein Leben, liebes Bambi, opfere ich gerne meine leckeren Fruchtkörper.“ Da stiess der etwas besserwisserische Fuchs dazu und meinte: „Das ist ja alles gut und recht, aber deine drei Pilze – auch wenn du ein delikater Steinpilz sein mögest – reichen bei weitem nicht aus, um die Schiesswütigen da draussen vom Jagen abzuhalten. Da brauchst du aber einen besseren Plan, mein lieber Pilz...“ Alle blickten einander schweigend und nachdenklich an. „Ich hab's!“, rief der Pilz plötzlich. „Dann muss ich eben 30 Pilze machen! Und ihr alle müsst mehr Dinge produzieren, welche die Menschen verzehren können.“ „Du, mein Heidelbeerstrauch, musst noch viel mehr Beeren produzieren als bisher. Und auch du, du grosser Haselnussbaum, sollst viel mehr Nüsse hinunter werfen auf den Waldboden. Bärlauch, auch dich brauchen wir, damit du noch mehr Blätter spriessen lassen mögest.“, fügte der kluge Pilz hinzu. „Ja, das stimmt; wenn wir alle zusammenspannen und uns etwas anstrengen, können wir viele unserer Freunde und Freundinnen im Wald retten.“, bekräftigte die Walderdbeere. „Moment, Moment...“, intervenierte die pessimistische Hummel, die gerade am Vorbeifliegen war und das Gespräch der Waldbewohner*innen mitverfolgte. „Aber leidet ihr denn nicht, wenn man euch die Beeren stiehlt, die Nüsse entwendet und die Blätter abreisst?“ Die weise Eiche entgegnete ihm: „Weisst du denn nicht, dass die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse nahelegen, dass Pflanzen aufgrund eines fehlenden Nervensystems, wie dies beispielsweise Säugetiere besitzen, vermutlich keine Schmerzen empfinden können?“ „Ja, das sagst du doch sicher nur, weil du Angst hast, dass du dann deine Honig-Produktion auch hochfahren musst, damit es genug für deine kleinen Larven, aber auch für die Menschen da draussen hat. Bist halt kein fleissiges Bienchen, was?“, meinte der etwas gar freche Habicht, der es sich neben dem Uhu gemütlich gemacht hatte. „Ähm, wir Hummeln produzieren gar keinen Honig, du Dummkopf da oben!“, gab die Hummel giftig zurück. „Nun, beruhigt euch doch!“, sagte der Pilz, die hitzige Diskussion entschärfend. „Wir müssen nun handeln, denn die Jäger sind nah. Da wir jedoch nicht fähig sind, in so kurzer Zeit unsere Produktion hochzufahren, müssen wir uns nun vorerst dem Schutz von Bambi und Co. widmen. Du da, Brombeerstrauch, sag deinesgleichen sie sollen die dornigen Ranken hochfahren und die Jäger davon abhalten, näher zu kommen. Und ihr Büsche und Bäume, raschelt so laut ihr nur könnt, damit die Jäger weder hören noch sehen können.“ So knisterte und rauschte es im ganzen Wald bald so laut, dass die Jäger kein Tier mehr erspähen konnten und sich schliesslich enttäuscht auf den Rückweg machen mussten. In den nächsten Tagen ging die Nachricht quer durch den ganzen Wald und es schien, als hätte sie jede Waldbewohnerin und jeder Wald-bewohner vernommen; denn bald raschelte der Wald so unglaublich laut und wild, dass die Jäger nach wenigen Minuten bereits ihr blutiges Hobby aufgeben mussten. Dies ging eine Weile so weiter, bis die Jagd-Saison endlich vorbei war und die Waldbewohner*innen sich schonen konnten für den kommenden Frühling – immerhin hatten sie sich viel vorgenommen. Und siehe da, die ersten Blüten zeigten ihr Antlitz schon deutlich früher als im Jahr zuvor und so gab es bereits im Frühling erste Beeren und kleine Früchte zu ernten. Der Bärlauch spriess gar so sehr, als wollte er gleich das ganze Dorf alleine ernähren. Und auch der Pilz hatte sich eine kleine Armee von Steinpilzen aufgebaut, welche alle geerntet werden konnten. Natürlich war der Frühling ziemlich anstrengend für die fleissigen Waldbewohner*innen, aber niemand musste unnötigerweise leiden, denn auch der Fuchs und die anderen Karnivoren hatten sich darauf geeinigt, sich vorwiegend fleischlos zu ernähren und assen nur diejenigen Tiere, die bereits ganz alt waren und lebensmüde. Auch die Menschen, die durch den Wald spazierten, schienen ausserordentlich glücklich zu sein. Noch nie hatten sie so eine Pracht und Fülle an Früchten, Nüssen, Beeren, Kräutern und anderen pflanzlichen Speisen gesehen. Schliesslich hatte der kluge Pilz auch dafür gesorgt, dass sich Rüben, Pastinaken und viele mehr im Wald ausbreiten konnten. So vergingen die Tage und es schien, als würde der Plan tadellos aufgehen. Doch der Mensch ist halt auch bloss nichts anderes als ein Tier mit einem zu grossen Gehirn, das er nicht wirklich in seiner Gänze nutzen kann. Denn auch wenn der Wald nur so von Lebensmitteln strotzte, sehnte der Mensch sich nach dem Stück Fleisch und nach der Unterdrückung der anderen Lebewesen... So kam es, dass die Waldbewohner*innen kurz vor dem Herbst die unangenehme Kunde vom Falken erhielten, dass sich die Jäger wieder für ihren mörderischen Sport bereit machten. „Dieses Mal werden sie sogar noch Astscheren und Kettensägen mit im Gepäck haben, damit sie die dornigen Büsche und mächtigen Bäume aus dem Weg räumen können, welche ihnen den Weg versperren wollen.“ erklärte der Falke in besorgtem Ton. Wieder herrschte betroffenes Schweigen, da die Situation doch sehr hoffnungslos wirkte. Da hörten sie plötzlich näher kommende Schritte. Ob die Jäger diesen Herbst vielleicht schon früher unterwegs waren? Alle machten sich darauf gefasst, die Flucht zu ergreifen. Doch es war kein Jäger, der plötzlich vor ihnen stand, sondern eine junge Frau. „Habt keine Angst, ich tu' euch nichts!“, sprach sie mit einer sanften aber kraftvollen Stimme. „Ich bin gekommen, um euch zu unterstützen. Denn in der Tat bleibt euch nichts anderes übrig, als mit uns Menschen gemeinsame Sache zu machen.“ Die Waldbewohner*innen hörten der jungen Frau gebannt, aber auch leicht misstrauisch zu. Denn sie wussten zwar schon, dass es nicht nur todbringende Menschen mit Waffen gab, sondern auch freundliche Spaziergänger, neugierige Kinder, gedankenverlorene Wanderer und viele mehr; doch sie waren halt noch nie wirklich in direkten Kontakt getreten mit dieser seltsamen Spezies. So manche Waldbewohnerin fragte sich deshalb wohl in diesem Moment, ob man den Menschen denn auch wirklich trauen könnte. „Sie hat recht“, bemerkte der Pilz, welcher als erstes seine Stimme wieder fand. „Wir brauchen Verbündete. Denn wir können diese Überproduktion von Beeren, Blüten, Nüssen und Früchten nicht über mehrere Jahre hinweg aufrecht erhalten. Und ausserdem konnten wir die Jäger nur kurzfristig davon abhalten, unsere Freundinnen und Freunde zu jagen.“, fuhr der kluge Pilz fort. „Was können wir also tun, meine menschliche Freundin?“ „Ihr könnt eben gerade nicht viel tun; ausserdem habt ihr auch schon genug getan. Nun liegt es an uns, die Bevölkerung zu besänftigen und sie aufzuklären, dass es für ein funktionierendes Ökosystem keine schiesswütigen Menschen braucht. Meine Freunde und ich werden auf die Strasse gehen müssen, in Schulen, an Podiumsdiskussionen und an politische Veranstaltungen; wir müssen Blogs schreiben, Youtube-Channels und Instagram-Profile erstellen, Tierrechtsorganisationen errichten und unsere Mitmenschen davon überzeugen, dass eine Welt auch ohne Jagd funktionieren kann, ohne Ausbeutung anderer Lebewesen, ohne Zerstörung natürlicher Lebensräume. Das alles können nur wir Menschen schaffen – dieses Ziel erreicht ihr Waldbewohner*innen alleine nicht. Denn WIR sind sowohl das Problem – wie auch die Lösung.“ Auch wenn der Pilz nur ungern sein Schicksal einem anderen Individuum in die Hand legen wollte und er ausserdem keine Ahnung davon hatte, wer oder was Youtube oder Instagram war; so wusste er doch, dass die junge Frau die Wahrheit sprach. Und er spürte auch, dass sie diese Worte mit viel Mitgefühl und Aufrichtigkeit vortrug. So beschlossen die Waldbewohner*innen, nachdem sie die Nacht darüber geschlafen hatten, sich gemeinsam mit den Aktivist*innen zu verbünden, von welchen am nächsten Tag schon ziemlich viele (aber noch nicht genug) gekommen sind. Nicht alles ward sofort gut: Die Jäger waren leider auch dieses Jahr erfolgreich, aber immerhin schon deutlich weniger als im Jahr zuvor. Ausserdem gab es vermehrt Jäger, die ihr blutiges Hobby nieder legten und sich lieber dem Leben als dem Tod widmeten. Ebenso erkannten immer mehr Menschen, dass man zur Natur und den anderen nicht-menschlichen Lebewesen Sorge tragen muss, weshalb viele von ihnen nachhaltiger zu leben versuchten und fortan auf tierliche Produkte wie Milch, Eier, Fleisch, Leder und Co. verzichteten. Und auch wenn es aussah, als würde sich alles zum Guten wenden, wusste der Pilz und die Waldbewohner*innen sowie deren menschlichen Freunde aus der Stadt, dass es noch viel zu Tun gäbe. Denn dies mag zwar bloss ein Märchen sein, aber es ist eben gleichzeitig auch Realität. ENDE
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