In unserer Schule bin ich für das Postamt (schweizerisch: Postämtli ;)) verantwortlich und sorge dafür, dass die entsprechenden Lehrpersonen die richtige Post erhalten.
Natürlich kriegen wir an der Schule nicht nur erwünschte Briefpost, sondern teilweise auch unerbetene Gäste wie zum Beispiel das SVP Extrablatt (hier eine Idee zur Rezyklierung dieser Fake-News-Ansammlungen) oder allgemeine Werbekataloge. Um sicher zu gehen, dass niemand diese Werbung beabsichtigt bestellt hat, muss ich Vorder- und Rückseite auf allfällige Adressen und Namen abscannen (es gibt ja tatsächlich Menschen, die solche [teilweise Zentimeter-dicken] Kataloge immer noch bewusst abonniert haben; trotz digitaler Verfügbarkeit). Bei dieser Handlung fällt mir immer etwas auf: Wie krass günstig eigentlich viele Produkte sind. Beispiele gefällig? In der Aldi-Zeitschrift gab es einen Spitzenbody (Dessous) zu einem «Hammerpreis» von 9 Franken. Aber auch Lidl gibt Gas: Einen Föhn kostete dort in einem «Exklusivangebot» lediglich 7 Franken. Und auch in einem schmalen Dosenbach-Katalog gab es eine «unschlagbare Aktion»: Winterschuhe aus echtem Leder für 19 Franken. ~ ~ ~ Natürlich mag sich jetzt die eine oder andere Person freuen, dass man für so wenig Geld ein solches Produkt erwerben kann. Ich finde solche Dumpingpreise hingegen eher irritierend und abstossend. Ja, ich würde sogar noch weiter gehen: Das immer stärkere Herunterdrücken von Preisen ist einer der Hauptgründe für ökologische und menschenrechtliche Probleme in der Welt. ~ ~ ~ Bereits im letzten Post «The Music Is Dying, Long Live The Music» habe ich ja auf die Problematik hingewiesen, dass wenn Musik günstig oder gar kostenlos erhältlich ist, dann auch der Wert dieses Produkts darunter leidet. Im Beispiel oben hiesse dies, dass man mit einem Föhn für 7 Franken anders umgeht, als wenn dieser 70 Franken gekostet hätte. Man wird vermutlich mit Letzterem sorgfältiger umgehen und ab einem gewissen Preis vielleicht sogar versuchen, diesen bei einem Defekt reparieren zu lassen. Bei einem Preis unter 10 Franken wird man hingegen wohl einfach einen Neuen kaufen. Neben dem sinkenden Wert kommt natürlich noch ein viel fundamentaleres Problem dazu: Die Verfälschung der tatsächlichen Kosten. Ein gutes Beispiel dafür sind tierische Produkte. Die Fleisch- und Milchwirtschaft wird beispielsweise massiv subventioniert (auch besonders in der Schweiz). Ohne diese staatlichen Vergünstigungen, könnte der Preis für tierische Produkte nie so günstig sein, wie er aktuell ist. Doch auch externe Kosten wie Land-, Futter- und Wasserverbrauch, CO2- respektive Methan-Ausstoss, Belastung von Trinkwasser und Land durch die Ausscheidungen der Nutztiere, Pandemien (!) und andere medizinische Desaster (Antibiotikaresistenzen, westliche Zivilisationskrankheiten…) usw. werden einfach ausgeklammert. Würde man alle diese «hidden Costs» dazu addieren, würde beispielsweise der Preis eines Rindfleisch-Burgers locker verdoppelt werden. ~ ~ ~ Das gleiche Dilemma bei Flugtickets: Erst durch fehlende Besteuerungen (i.e. Kerosin-, CO2- und Mehrwertsteuer) und das Nicht-Berücksichtigen ökologischer Folgekosten ist es möglich, für 30 Franken nach Berlin zu fliegen. (Aus diesem Grund habe ich übrigens die Petition #NachhaltigAir lanciert, um die Politik dazu zu bringen, endlich Verantwortung zu übernehmen, wenn es der kapitalistische Markt offensichtlich nicht selber schafft…) Bei einer entsprechenden Besteuerung und Erhöhung der Flugpreise (und zwar nicht nur auf Kosten der Economy Klasse; die Business-Class müsste ebenfalls überdurchschnittlich hoch berappt werden) würden finanzielle Anreize geschafft werden, entweder alternative, ökologischere Reiseformen zu wählen oder die nächste internationale Konferenz via Zoom zu halten. ~ ~ ~ Interessanterweise sind solche Dumpingpreise nicht nur fast immer aus Sicht der Nachhaltigkeit ein Problem, sondern auch für die Unternehmen selbst. Nehmen wir zum Beispiel die Spitzen-Unterwäsche von Aldi: Dass man für einen solch tiefen Preis wohl nicht Textil-Arbeiterin, Baumwoll-Pflücker, Container-Schiff-Besatzung, Logistik-Personal, Warenhaus-Angestellte etc. pp. fair bezahlen kann, liegt auf der Hand; aber dass sich andere Mode-Unternehmen dann genötigt fühlen, mit diesen Billigpreisen mitzuhalten, sie sogar zu unterbieten, geht meistens vergessen. So kommt es häufig vor, dass sich jenseits der Mode-Filialen eine regelrechte Preisschlacht unterschiedlicher Unternehmen abspielt, bei dem die Umsätze natürlich auch tangiert werden. Denn: Wer nicht mitmacht, ist nicht mehr konkurrenzfähig. Wer hingegen seinen Preis stark runterdrückt, muss woanders sparen, um nicht rote Zahlen zu schreiben. (Besonders für kleinere Unternehmen, die nicht in der Grössenordnung wie ein Big Player produzieren können, bedeutet dies regelmässig das ökonomische Todesurteil. Dass am Schluss dann mehrheitlich Grossunternehmen wie Nestlé, Amazon, Unilever und Co. übrigbleiben, macht das Ganze nicht sympathischer.) So kommt es, dass letztendlich doch diejenigen die Hauptverwundeten dieser Schlachten sind, welche zuunterst an der Lieferkette stehen; also unterbezahlte Arbeiter*innen in Entwicklungsländern, eingesperrte Nutztiere oder halt vergiftete Flüsse, gerodete Wälder und die Umwelt generell. ~ ~ ~ Was kann man dagegen tun? Nun, wie so häufig bedarf es einer Anpassung auf diversen Ebenen: Die Politik muss endlich entsprechende Anreize setzen, nachhaltig zu wirtschaften und Menschen-/Umwelt-/Tierrechte einzuhalten. So könnte man beispielsweise einen Finanzplan erstellen, in welchem die Subventionen für Nutztierhaltung (i.e. Fleisch- und Milch-Produktion) sukzessive, aber in besonnenen Tempo jährlich verringert und dafür regionale, biologische, pflanzliche Alternativen wie Linsen, Süsskartoffeln, Soja (Tofu, Joghurt etc.), Hafer(milch), Karotten(lachs) usw. stärker gefördert würden. Somit bliebe den Landwirt*innen (und der Bevölkerung) genug Zeit für eine Umstellung. Auch müssten vielleicht fixe Preisgrenzen festgelegt werden. Beispielsweise könnte man sagen, dass es keine Kurzflüge mehr unter 100.- geben dürfte; die entsprechende Differenz zum Ursprungspreis würde in einen Klimafonds fliessen, mit welchem man ökologische Projekte, Aufforstung, Aufklärungskampagnen etc. finanzieren könnte. Die Gesetze müssten natürlich auch alle verschärft werden, so dass strafrechtlich verfolgt werden könnte, wenn gewisse Richtlinien nicht erreicht würden. Die externen Kontrollen dieser sozialen oder ökologischen Kriterien müssten natürlich ebenfalls gewährleistet werden (sonst haben wir strenge Gesetze auf dem Papier, die jedoch nie tatsächlich umgesetzt werden). Doch wie so häufig bleibt es auch an uns Konsument*innen hängen: Wir entscheiden darüber, ob wir lieber einen fair-gehandelten, nachhaltigen Spitzen-Body von Underprotection zu einem angemessenen Preis kaufen oder uns doch vom «Hammerpreis»-Angebot von Aldi verführen lassen. Wir entscheiden, ob wir einen Linsen-Burger von einem regionalen, veganen Unternehmen kaufen oder einen klima- und tierschädlichen Rindfleisch-Burger; ob wir das neuste iPhone wirklich haben müssen, welches uns Mobilfunk-Unternehmen für 0.- nachwerfen wollen (ebenfalls ein Unding, dass wir auf politischer Ebene verhindern müssten); oder der ob wir lieber mit dem (Nacht)Zug nach Wien fahren oder den Billigflug nach Barcelona wählen. Denn – und das darf man nicht vergessen – häufig handelt es sich bei diesen Produkten, Dingen oder Handlungen nicht um lebensnotwendige Dinge. Es gibt kein Recht auf Billigfleisch, Billigflüge und Billigkleider – vor allem nicht, wenn billig nicht bloss «recht günstig», sondern «unverschämt billig» bedeutet. Es gibt aber – zumindest auf ethischer Ebene – ein Recht auf ein unversehrtes, würdevolles Leben für Mensch (und Tier [und Ökosysteme]). Doch mit «starken», «unschlagbaren» «Hammerpreisen» können wir dieses Ziel kaum erreichen; damit können wir nur die Gerechtigkeit erschlagen.
3 Comments
Robin
8/7/2021 06:00:05 am
Ich habe den Blog noch nicht komplett gelesen, jedoch möchte ich hier kurz über die Flugpreise sprechen. Vor knapp 9 Jahren bin ich das letzte mal geflogen. Ich wollte meinen 18. Geburtstag in Amsterdam feiern. Der Hinflug kostete 19(!!) Franken. Der Rückflug war mit 38.- immer noch lächerlich, doch damals war ich über diese Preise natürlich froh, doch eigentlich habe ich ziemlich Flugangst und wäre bei einem höheren Preis lieber mit dem Zug/Bus gefahren. In den letzten 8 Jahren war ich 3 Mal im Ausland in den Ferien. Begonnen hatte es mit einem Angebot der DB - Für 100.- 1 Monat in Deutschland und Österreich unbegrenzt mit dem Zug fahren. Es waren jedoch nur Schnellzüge inbegriffen. Dann war ich einen Monat lang in allen Ecken Deutschlands. Das war eine sehr tolle Erfahrung und hat mich dazu bewegt, meine Reise nach London mit dem Zug durchzuführen, was massiv teurer war, doch ich wollte sowieso den Tunnel im Meer erleben. Schlussendlich habe ich zwar einiges mehr bezahlt, doch im Gegensatz zum Flugzeug war die Reise nicht nur reiner Transport, sondern war an sich schon einzigartig, ausserdem war es wesentlich angenehmer, als durch den Flughafen stressen zu müssen. Eigentlich hatte ich das Gegenteil erwartet, da es ja wesentlich länger dauerte mit dem Zug. Aber als ich in London ankam, konnte ich den ganzen Tag schon Sehenswürdigkeiten anschauen. Bei einem Flug ist es mir nicht möglich am selben Tag noch etwas unternehmen zu können. Auch wenn ich mehr zahlen muss mit dem Zug - Ich habe auch mehr davon. Der Zug ist nicht nur ein reines Transportmittel. Ausserdem kommt man wirklich in der Stadt an, nicht etliche Kilometer entfernt. Und speziell London erreicht man durch den TGV somit sogar schneller als mit dem Flugzeug (dort rechnet man die Transport- und Wartezeit meist nicht ein)
Reply
Haha... Danke - schon wieder! ;)
Reply
Robin
15/7/2021 06:52:58 am
Die Interrail-Angebote sind eigentlich schon lange super. Mein Vater hat mir von einer Reise durch Europa und ganz Russland erzählt, welche er als Jugendlicher (1979 ca.) durchführte und damals auch Interrail, oder ein ähnliches Angebot der SBB\DB\etc. Flüge konnte man damals sowieso nicht zahlen und es war seiner Aussage nach die schönste und lehrreichste Reise, die er jemals erleben durfte. Man sieht die Vergangenheit zwar ortmals schöner an, als sie es wirklich ist, doch die Details, die er erwähnte, konnte man nur durch diese Reise so erleben, welche er mittlerweile nicht mehr machen könnte mit 65, die Reise dauerte schliesslich einige Monate. Würde diese Reise zwar gerne auch erleben, doch das Angebot mit Russland gibt es vermutlich nicht mehr ^^’ Leave a Reply. |
SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
Februar 2023 Oktober 2022 Mai 2022 März 2022 Dezember 2021 Oktober 2021 August 2021 Juni 2021 Mai 2021 März 2021 Februar 2021 Januar 2021 November 2020 Oktober 2020 September 2020 August 2020 Juli 2020 Juni 2020 Mai 2020 April 2020 März 2020 Februar 2020 Januar 2020 Dezember 2019 November 2019 Oktober 2019 |