Heute stimmen wir mal wieder ab. Doch von der lautstarken Zivilgesellschaft und den zahlreichen medialen Aufrufen letzten Winters fehlte in den vergangenen Wochen und Monaten jegliche Spur. Es war verdächtig ruhig. Zu ruhig dafür, dass wieder mal spannende und richtungsweisende Abstimmungen vor uns lagen. Natürlich: Die Initiativen, über welche wir heute abstimmen werden, polarisieren sicherlich weniger als die Durchsetzungs- oder die Heiratsstrafe-Initiative. Und dennoch hätte man mehr Polit-Posse erwartet.
Allerdings war bereits im Vorfeld auffällig, wie wenig Plakate zu den Abstimmungen aufgehängt wurden. Sujets von Dessous, Sommermode, Eiscreme und Burger dominierten die Plakatlandschaft mehrheitlich. Vielleicht haben wir uns aber auch einfach bereits an die politische Plakatflut gewöhnt und nahmen deshalb abstimmungsrelevante Plakate gar nicht mehr wahr. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass die Qualität einiger Plakate respektive deren Aufmachung ziemlich minderwertig wirkte. Das Plakat gegen die Präimplantationsdiagnostik (PID) sah beispielsweise aus wie eine Pop-Up-Werbung für ein „Gratis“-Anime-Computerspiel. Andere Plakate waren dagegen unfreiwillig irreführend. So wirkte jenes für die „faire Verkehrsfinanzierung“ – der Titel ist natürlich genauso irreführend – eher wie ein Vorstoss der Grünen für bessere ÖV-Verbindungen und sicherere Fahrradwege in der Stadt; wohingegen uns jenes gegen die Milchkuh-Initiative mit seiner Verbrecher-Comicfigur eher an die Bildsprache der SVP erinnerte. Diese verkehrte Plakatwelt spiegelte sich auch in den Abstimmungsempfehlungen wieder: Die Service-Public-Initiative wurde – allerdings aus nachvollziehbaren Gründen – von den üblicherweise konsumentenfreundlicheren, linken Parteien nicht unterstützt; die Asylgesetzrevision, welche für schnellere Asylentscheide sorgen würde, wurde hingegen von der Rechten abgelehnt – obschon dies von deren Seiten stets gefordert wurde; und das bedingungslose Grundeinkommen wurde nur halbpatzig oder vereinzelt von rechter wie linker Seite empfohlen. Ein weiterer Grund für die Passivität könnte auch sein, dass ein Teil der Bevölkerung wohl eher einfache Antworten auf politische Themen bevorzugt. Diese waren bei den heutigen Abstimmungsthemen im Vergleich zu den letzten (gegen Flüchtlinge respektive Menschenrechte) jedoch deutlich zweischneidiger. Mit der Komplexität eines bedingungslosen Grundeinkommens schienen sich manche deshalb lieber gar nicht erst abmühen zu wollen. Dabei wäre genau jene Initiative höchstinteressant gewesen (weshalb auch das Ausland gespannt auf die Abstimmungsresultate heute schauen wird) und hätte sich für spannende Diskurse geeignet. Stattdessen wurde die Debatte relativ zaghaft geführt, so dass viele Personen das Grundeinkommen immer noch grundsätzlich doof fanden, ohne jedoch konkrete Kritik äussern zu können. Das ist insofern schade, als dass es dabei um einen revolutionären Richtungswechsel in unserer Sozialpolitik ginge, welcher – wohl oder übel – mittelfristig irgendwann sowieso zumindest diskutiert werden muss. Auch die anderen Initiativen hätten reichlich Diskussions-Potenzial gehabt. Aber irgendwie wirkte unser Geist bereits erlahmt von der ersten Welle heisser Sommertage und die Gedanken kreisten so langsam wie die angepriesenen Burger auf den Plakaten. Dabei liesse sich doch gerade Grillieren so herrlich mit Diskutieren verbinden. So werden wir heute wohl jedoch nur ein laues Lüftchen spüren; eine Abstimmung ohne die (Mit-)Leidenschaft von letztem Winter (und das politische Highlight des Früh-Sommers wird wahrscheinlich die Bundespräsidentenwahl Österreichs bleiben mit seinem packenden Penalty-Krimi). Bleibt nur zu hoffen, dass unser politisches Interesse in Zukunft nicht nur dann aufkeimt, wenn wieder mal fundamentale Menschenrechte auf dem Spiel stehen; sondern dass wir jede Abstimmung als Chance zu einer möglichen Veränderung sehen. Und natürlich bleibt auch zu hoffen, dass wir uns nicht zu sehr an das gefährlich-trügerische Entertainment des Präsidentschaft-Wahlkampfs der USA gewöhnen, wo die Bevölkerung erst richtig aufzuhorchen scheint, wenn sich Vulgäres mit Unwahrem und absoluter politischer Unfähigkeit vermischt. Wenn dies nämlich die Alternative ist, um das Volk zum politischen Informieren und Agieren zu bewegen, dann möge man es doch lieber beim bedingungslosen Schweigen zu weniger dramatischen Abstimmungen belassen.
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