Vor fast genau einem Jahr habe ich diesen Blog gestartet, da ich einerseits mit der medialen Berichterstattung gewisser Themen unzufrieden war und andererseits noch stärker meine Verantwortung als rational denkendes Wesen in einem Wohlstandsland, das eigentlich noch viel mehr zum Fortschritt der Gesellschaft und der „geistigen Evolution“ im Allgemeinen beitragen könnte (und sollte), wahrnehmen wollte. Am 16. August 2015 tippte ich also die Zeilen „Fuck Converse“ in die Titelspalte des ersten Beitrags; denn es schadet nie mit einem Paukenschlag zu beginnen und bereits die intendierte Richtung des Blogs vorzugeben. Zudem ist es einfacher und uninteressanter ein schleimiger Arschkriecher zu sein, als sich stilvoll unbeliebt zu machen (unbeliebt macht man sich ja in der Epoche der Social-Media-Wutbürger sowieso immer – wohl selbst mit niedlichen Katzenvideos [bei Haustier-Puristen oder Katzen-Rassisten]).
Diesen etwas vulgären Beginn in das neue Blog-Jahr wollte ich deshalb beibehalten und habe mir überlegt, welche Dinge denn auch das Prädikat „Fuck“ verdienen würden. Die Suche erwies sich als schwierig, obschon einige Vorschläge bereits im ersten Artikel als potenzielle Themen erwähnt wurden (die meisten schienen jedoch bereits zu „abgefucked“; Starbucks, Mc Donald's oder die UBS sind Marken mit zu offenkundigen Angriffsflächen, weshalb deren Kritik beinahe als anti-kapitalistischer Konformismus gedeutet werden könnte). Welche Angelegenheit schien also sowohl inhaltlich kontrovers wie auch vom Titel her interessant genug? Fuck Pornos. Denn: Einerseits klingt der Titel recht kryptisch, weil er eine Art Pleonasmus beinhaltet. Schliesslich gibt es üblicherweise keinen Porno ohne irgendeine Form von „Fucking“. Und andererseits leben wir zwar in einer übersexualisierten Welt, aber über Pornos sprechen wir trotzdem praktisch kaum (obwohl so ziemlich jeder – hier ausdrücklich in männlicher Form belassen – solche Videos schaut und sie unbestritten unsere Gesellschaft prägend beeinflussen). Wieso eigentlich nicht? In erster Linie hat dies wohl damit zu tun, dass sie unsere tiefsten (sexuellen) Wünsche und eben auch Abgründe offenbaren. Dieser Abstieg in die düsteren Kellergewölbe des Unterbewusstseins macht womöglich sogar uns selbst manchmal Angst, weshalb wir selber nicht gerne dort unten vorbeischauen – auch wenn es einigen Leuten dort unten schon die eine oder andere Sicherung rausgehauen hat, welche man eigentlich ersetzen sollte. Und bevor jetzt alle in heuchlerischer Pose aufschreien, dass sie dort unten garantiert keine Leichen begraben haben (hoffentlich keine wortwörtlichen, obwohl man im Internet wahrscheinlich auch dergleichen finden könnte), empfehle ich euch, jetzt einfach mal einen kurzen Abstecher auf eine beliebige Pornoseite zu machen – egal ob YouPorn, Pornhub, Eskimotube (gibt's anscheinend wirklich) oder xHamster (inwiefern ein Hamster mit Sexualität zu tun hat, weiss ich leider auch nicht). Bei eurem Ausflug werdet ihr womöglich Überschriften wie „19yo redhead beauty rammed hard and rough“, „Filthy blonde slut has double deep penetration“ oder „EvilAngel Horny Teens deep Anal Fuck“ begegnet sein (alles übrigens Originaltitel, die mir beim Schreiben dieses Artikels auf „xHamster“ unter den ersten zehn vorgeschlagenen Videos präsentiert wurden). Klar werden jetzt die Pornografie-Verfechter sagen, dass dies halt typisch für den sprachlichen Duktus der Porno-Industrie sei; dass viele (Gangsta-)Rap-Texte ja schliesslich auch unter die Gürtellinie gehen würden. Aber sind diese Aussagen wirklich noch im Bereich der Normalität? Und müssen wir überhaupt etwas akzeptieren, nur weil es normal geworden ist (übrigens auch im Bereich der Rap-Musik)? Fakt ist, dass das Frauenbild im pornografischen Kontext meistens miserabel dargestellt wird. Egal ob offensichtlich durch Worte wie „Slut“ oder deren Rolle als zu dominierendes Objekt („rammed hard and rough“; beide s.o.). Diese Erniedrigung der Frau als sexuelles, minderwertiges Objekt nimmt teilweise übelste Ausmasse an, so dass man den Eindruck kriegt, man spreche hier gar nicht mehr von einem fühlenden Lebewesen, ja nicht mal mehr von einem (geschätzten) Gegenstand, sondern von wertlosem Abfall (wie gesagt, klickt euch lange genug durch die Porno-Titel und ihr landet früher oder später selbst bei solchen undenkbaren Titeln, die Frauen als "Trash" bezeichnen). Dazu gesellen sich versteckter Rassismus durch Erniedrigung von Frauen anderer Ethnien (ebenfalls unter den Vorschlägen von xHamster: Asian Street Meat) sowie eine Vielzahl an Gewaltfantasien, die die Grenze zum guten Geschmack längst hinter sich gebracht haben. Wieso also greift niemand ein? Wo ist der Zensur-Button - und zwar nicht jener, weil man „zu viel“ sieht (das ist genauso wenig das Problem wie einzelne Fluchwörter in Rap-Songs), sondern weil es sexistische, rassistische oder gewalttätige Inhalte hat, die strafrechtlich durchaus relevant wären oder zumindest sein sollten? Die Idee mit der Zensur solcher Inhalte wird sicherlich dadurch erschwert, dass die Grenzen zwischen sexueller Freiheit und juristischem Strafbestand ziemlich fliessend sind (die Frage bleibt allerdings im Raum stehen, ob das Einverständnis einer Pornodarstellerin, sich beispielsweise würgen und schlagen zu lassen, wirklich von Entscheidungsfreiheit zeugt, oder ob man nicht einfach durch finanziellen, externen oder sonstigen Druck sein Einverständnis gibt - wir alle unterschreiben ja gelegentlich Sachen oder akzeptieren AGBs, ohne dass wir dies wirklich wollen). Das Problem an der Industrie ist zudem ja gerade, dass das ganze Image sexistisch und anti-feministisch (obwohl Pornoseiten ja kaum politisch sind) aufgeladen ist. Gut möglich also, dass man bei einer Kontrolle einen Drittel aller Pornos löschen müsste. Oder noch mehr. (Übrigens würde man bei aktuellen Musikvideos wohl zu einem ähnlichen Fazit kommen; es lebe der etablierte Sexismus!) Ein weiteres Problem dabei ist, dass wir es in der Porno-Welt mit einer Art unbeaufsichtigten Spielplatz von Männerfantasien zu tun haben. Vielleicht gibt es Videos, die selbst gegen irgendwelche internen Regeln der Websites verstossen, aber wer soll denn bitte die Aufsichtsperson sein? Wie in anderen Bereichen, wenn zu viele Männer in einem mehr oder weniger abgekapselten Raum aufeinandertreffen (bspw. im Militär), spornt man sich gegenseitig bis zum unausweichlichen Turning Point an, wo manche schlichtweg ihre Grenzen nicht mehr spüren. So erstaunt es nicht, dass vor einiger Zeit Filmaufnahmen publik gemacht wurden, auf welchen unterschiedliche Bruderschaften, bestehend aus US-amerikanischen College-Studenten, durch die Strassen zogen und sangen: „No means yes, yes means anal!“ Sicherlich kann man solche Parolen nicht bloss auf den Pornokonsum (junger) Männer zurückführen, aber es scheint signifikant, dass jener solche Haltungen begünstigt. Denn nicht alle Besucher von Internetseiten mit pornografischen Inhalten können diese Art von gespielter Fiktion abstrahieren und die aufpolierte, sexuelle Parallelwelt dahinter sehen. Und die Zahl dieser Personen ist vermutlich weit grösser als viele von uns annehmen. Besonders im Bereich der Adoleszenz scheint mir diese sexuelle Mündigkeit selten gegeben. Dass Pornos die Jugendlichen weder aufklären können, noch zu dieser Maturität führen, liegt auf der Hand (ausser man füge allen Videos einen optionalen Off-Kommentar hinzu, der die gezeigte Handlung erläutert - der akustische Tod der Libido). Eltern wie auch die Schule tun sich hingegen immer noch schwer mit dem Anpacken dieses Problemherdes. Verständlicherweise. Denn wer möchte schon zuhause oder im Unterricht über Analsex und Deep Throats sprechen? Zum Glück gibt's immer mehr externe Organisationen, die sich diesen unbequemen Themen annehmen und gewisse erotische Inhalte in einen grösseren Zusammenhang stellen oder relativieren können. Und dennoch: Diese Bilder brennen sich in unser Gedächtnis hinein und lassen sich nicht so leicht wieder löschen. Im Gegensatz zu Bildern von Autounfällen, Terrorismusattentaten oder Holocaust-Opfern, welche üblicherweise bei gesundem Verstand nur Ekel auslösen sollten, scheinen diese sexuellen Bilder allerdings auf die meisten Männer eine stärkere Faszination auszuüben, weshalb wir uns langsam an diese Welt der psychischen Abgründe herantasten – und leider auch Schritt für Schritt daran gewöhnen. In der Serie "South Park" wird dies herrlich dargestellt, wenn Randy – der Vater eines in einer amerikanischen Vorstadt lebenden Jungen – durch den Pornokonsum mehr und mehr abstumpft, so dass er immer speziellere Sexualpräferenzen entwickelt. Diese obskuren, überspitzten Fantasien sind natürlich sehr harmlos und unterhaltsam. In der Realität sehen wir indes eine Wandlung vom klassischen Akt in der Missionarsstellung nicht nur zur generellen Abwertung des weiblichen Geschlechts, sondern auch zur spezifischen Ausbeutung von in Armut lebenden Frauen, die sich für Geld vor der Kamera diskriminieren lassen, oder von Frauen, die durch Drogen oder andere perfide Strategien zu Sex verführt werden (und anschliessend teilweise gar als Teil- oder Gesamtschuldige betrachtet werden, obwohl sie schlichtweg Opfer sexueller Gewalt geworden sind). Versteht mich nicht falsch: Ich möchte weder den einseitigen Schwarzmaler markieren, noch die Porno-Industrie per se verteufeln – immerhin bereiten diese Art von Filme ja zahlreichen Menschen Freude und wohl auch eine gewisse Form von Erleichterung (man stelle sich eine Welt vor, wo alle Typen dauerspitz und Testosteron-aufgeladen herumspazieren). Trotzdem kann die Lösung nicht einfach heissen, dass wir nicht hinschauen und die Probleme unter den Teppich kehren – denn der Brand ist da und er wird zumindest nicht kleiner. Ausserdem verbrennen sich nicht nur zahlreiche Frauen und – im weiteren Sinne – unsere Gesellschaft an diesem Feuer, sondern auch eine besondere Berufsgruppe: Die Prostituierten. In diversen Studien, so zum Beispiel in dem 2015 veröffentlichten „Journal of Interpersonal Violence“ zeigt sich eine Zunahme von frauenfeindlichen, empathielosen und gewaltverherrlichenden Verhaltensmuster bei Freiern. Auch das effektive gewalttätige Sexualverhalten hat zugenommen, wie aus der Studie hervorgeht; so dass Prostituierte vermehrt von Schlägen und Tritten oder dem Wunsch der Freier nach ungewollten Sexualpraktiken wie Sex ohne Kondom, Analsex oder sonstigen sexuellen Erniedrigungen berichten - und diesem Druck leider häufig auch nachgeben. Es liegt auf der Hand, dass der Konsum von Pornografie dafür mitverantwortlich gemacht werden muss und dass durch die gezeigten Bilder auch ein Markt entsteht, wo dieses Anschauungsmaterial umgesetzt werden möchte. Unsere Faszination für Pornografie hat jedoch nicht nur einen starken Einfluss auf das gesellschaftliche Leben in unseren Breitengraden. Wenn wir in Westeuropa nämlich mal wieder über Kopftuch-tragende Muslimas und deren unterdrückte Sexualität lästern, sollten wir zuerst mal bedenken, wie feministisch (i.e. progressiv) wir uns eigentlich tatsächlich nennen können, wenn wir de facto nichts gegen diese frauenverachtende Scheisse in Pornos machen. Deshalb sollten wir uns in einem weiteren Punkt in die Lage des Gegenübers versetzen und uns überlegen, wie man sich selber verhalten würde, wenn alles gen Westen schaut und man dort eine (zumindest auf den ersten Blick, welcher leider häufig virtueller Art ist und via Pornos oder Popkultur geschieht) übersexualisierte Gesellschaft vorfindet. Wer kann da nicht zu einem gewissen Grad nachvollziehen, dass man die eigenen, scheinbar reinen Werte bewahren möchte und deshalb mit allen Mitteln zu verhindern versucht, dass die eigene Tochter irgendwann mal von mehreren Männern gleichzeitig penetriert wird? Die britisch-ägyptische Wissenschaftsjournalistin Shereen El-Feki (die übrigens letzten Frühling in der Sternstunde Philosophie zu Gast war) glaubt deshalb, dass das konservative Sexualverhalten in arabischen Ländern teilweise auch als Reaktion auf unsere westliche, häufig missverstandene Kultur zu deuten sei. Natürlich ist diese Sichtweise (zumindest in ihrer Reinform) genauso heuchlerisch, wenn man bedenkt, dass gerade Länder mit einer stark unterdrückten Sexualität wie beispielsweise Pakistan die höchste Klick-Rate bei Pornoseiten hat. Nichtsdestotrotz soll dieses Gedankenspiel aufzeigen, dass alle Kulturen gleichermassen mit Vorurteilen zu kämpfen haben - und dass Pornos auch auf globaler Ebene einen negativen Einfluss haben können. Es bleibt also die Frage im Raum stehen, was wir nun gegen eine Industrie tun können, die offensichtlich eine grosse Nachfrage bedient, die global angesiedelt ist (der Schweizer Porno-Markt wird wohl ziemlich überschaubar sein) und schliesslich in seiner Grössendimension beinahe unendlich ist. Zunächst mal brauchen wir eine offene „Pornokultur“, in der wir tatsächlich über unsere sexuellen Fantasien, Ängste, Vorlieben und notfalls auch Abgründe sprechen. Dafür allein reicht allerdings ein „50 Shades Of Grey“-Boom nicht aus, welcher genauso fake und glatt ist wie die vorgegaukelten Sexszenen der Porno-Industrie. Eine gewisse Verantwortung tragen natürlich auch die Eltern sowie die Schule, welche die Probleme, die aus der allgegenwärtigen Verfügbarkeit von Pornofilmen resultieren, differenziert behandeln müssen; denn der Weg über die Bildung bleibt noch immer der langfristig vielversprechendste Lösungsansatz. Schliesslich braucht es auch klare gesetzliche Einschränkungen gewaltverherrlichender und diskriminierender Inhalte – auch wenn davon tatsächlich ein Drittel aller Pornos betroffen sein sollte (bei tausenden von Pornoseiten mit jeweils geschätzten Millionen von Videoclips pro Seite sollte dies hingegen nicht gross auffallen). Denn wenn eine gewisse tolerierbare Grenze überschritten und von mehreren Usern gemeldet wird, muss das entsprechende Video eigentlich einfach gelöscht werden. Ob es User gibt, die sich dieser ehrenamtlichen Aufgabe wirklich annehmen würden, sei jetzt mal dahingestellt – immerhin landen wohl die wenigsten von uns auf einer Pornoseite, um die Welt zu verbessern.
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In meinem Blog versuche ich ja mehrheitlich kritische, unbequeme Themen anzusprechen und auf eine möglichst individuelle Weise zu behandeln. Da fällt der letzte Beitrag (Popkultur To GO) vielleicht etwas aus der Reihe. Andererseits werden Videospiele wie Pokemon häufig auch etwas überkritisch betrachtet, oberflächlich durchleuchtet oder schlichtweg ignoriert, obwohl diese Themen durchaus Relevanz haben – besonders auch deshalb, weil sie eben in unserer Freizeit, in unserer Popkultur und natürlich in der Adoleszenz eine wichtige Rolle spielen (und sogar teilweise zur Sozialisation beitragen können, wie man anhand der Beispiele unten sehen kann). Sicherlich handelt es sich bei einer solchen Besprechung immer um einen Drahtseilakt – ähnlich wie wenn Intellektuelle versuchen, dem Fussballspiel philosophische oder künstlerische Aspekte zu entlocken (und am Schluss die Fussballer wie selbstreflektierte Kunstpoeten dastehen und nichts mehr mit den tätowierten Fitness-Heulsusen zu tun haben, die sie leider hin und wieder sind). Trotzdem kann sich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Videospielkultur durchaus lohnen und spannende Aspekte offenbaren. Beispielsweise kann man Pokemon – um noch etwas bei dem Thema von vorletzter Woche zu bleiben – sinnvoll mit der Epoche der Romantik in Verbindung bringen. Die Geschichte um Ash Ketchum liest sich nämlich wie der Anfang eines romantischen Märchens oder einer Novelle: Ein Jüngling, der aus der langweiligen Tristesse und der Enge des ländlichen Dorflebens entfliehen will und sich deshalb, getrieben durch seine Wanderlust und der Sehnsucht nach der weiten Welt, auf den Weg in eine ungewisse Zukunft voller Abenteuer macht. Dieses romantische Bild ist übrigens auch bei der Dragon Quest-(Monsters-)Reihe – quasi dem Pendant zu Pokemon – offensichtlich. Dort zusätzlich zur an Caspar David Friedrich-erinnernden Bildsprache sogar noch in musikalischer Form. Der ansprechende Soundtrack zum Spiel erinnert nämlich stark an Werke aus ebendieser musikalischen Epoche (mit einigen barocken Ausnahmen), wenn die Streicher schwelgerisch-süffig, teilweise beinahe vor Pathos triefend, die Sehnsucht und Melancholie des Protagonisten musikalisch untermalen; und dann in einem nächsten Stück wieder düsteren, unheimlichen Orchesterklängen Platz machen. In beiden Videospielen und/oder Serien haben wir ausserdem das wiederauftretende Motiv der Beziehung Mensch und Tier, respektive Mensch und andere Lebewesen, auf welches ich mich in diesem Beitrag etwas fokussieren möchte. Neben der offensichtlichen, kindlichen Mensch-Haustier-Beziehung wird aber in einem gewissen Sinne bereits eine Art von Speziesismus behandelt – ein vieldiskutiertes Thema des 21. Jahrhundert (auch in der Schweiz: Man denke an das Aufstreben des Veganismus oder aktuell an die Initiative zum Thema Grundrechte für Primaten). Auch in anderen Videospielen werden ökologische oder ethische Themen aufgegriffen, zum Beispiel beim „Retro Aktivisten“ Sonic. Der etwas unpopulärere im grossen Duell der ersten Videospiel-Helden (quasi Messi vs. Ronaldo im Pixelkampf) macht nämlich die eindeutig bessere Figur – und zwar nicht nur wortwörtlich, sondern besonders hinsichtlich der Komplexität des Charakters. Während Mario ein leicht übergewichtiger, italienischer Klempner ist (immerhin haben wir es hier mit einer sympathischen Hinterfragung des idealisierten Superhelden zu tun – neben einer etwas unsympathischeren, stereotypen Vorstellung eines Italieners), dessen Lebensaufgabe darin besteht, die entführte Prinzessin Peach – im rosaroten Ballkleid, weissen Handschuhen und goldenem Diadem, versteht sich – zu retten; so scheinen die Beweggründe des königsblauen Igels auf den ersten Blick etwas unklarer und mysteriöser. Bei genauerer Betrachtung muss man dann feststellen, dass sich „Sonic The Hedgehog“ als „Sonic The Animal Liberator“ entpuppt. Denn im Gegensatz zur deutlichen Mehrheit anderer Videospielen tötet Sonic seine „Gegner“ im Spiel nicht, sondern zerstört lediglich die maschinelle Hülle, welche sie umgibt, und befreit dadurch die darin eingesperrten Tiere. Damit ist Sonic so etwas wie der virtuelle Vorreiter der Tierrechtsaktivisten von heute, deren Ziel ebenso die Rettung unschuldiger Lebewesen aus den Klauen der „Maschinerie“ (i.e. Massen- und Nutztierhaltung) und die Schliessung der Schlachthäuser ist. Dies lässt also keine Zweifel offen, dass Sonic der erste vegane Superheld gewesen sein muss.* Dazu passt auch, dass sein Widersacher einerseits ein Mensch ist (im Gegensatz zu Sonic, der die vom Menschen unterdrückten Lebewesen symbolisiert) und sich andererseits „Dr. Eggman“ nennt. Obschon ich grundsätzlich Verschwörungstheorien eher kritisch gegenüberstehe, scheint dies doch ein subtiler oder zumindest unbewusst Freud'scher Angriff auf die Eierproduktion und Legehennenhaltung (welche wohl schon damals alle männlichen und daher unbrauchbaren Küken vergast oder zerschreddert hatte, oder die Hennen in kleinen Käfigen zum Brüten unnatürlich vieler Eiern – bis zu zehn mal mehr als von der Natur vorgesehen – gezwungen hatte), auch wenn der Name des Antagonisten ursprünglich wohl lediglich auf dessen Körperform anspielte. Diesen tierethischen Ansatz sehen wir auch im Spiel „Oddworld: Abe's Oddysee“, in welchem man die Spielfigur Abe – ein glupschiges, dürres Wesen mit einer Art Hipster-Dutt – aus einer Fleischfabrik lotsen muss, in welcher nicht nur er, sondern sein ganzes Volk unter unwürdigen Bedingungen gehalten und versklavt wird. Als dann Abe zufälligerweise entdeckt, dass die geheimen Zutaten der von ihnen hergestellten und auch konsumierten Lebensmittel, sie selbst sind, versucht er aus diesem düsteren Labyrinth aus Beton und Metall zu flüchten. Besonders spannend an dieser zusammengefügten Story aus Moses, Krabat und Matrix ist das oben-beschriebene Gedankenexperiment der Spieleentwickler: Was würdest du tun, wenn du plötzlich selber als Nutztier im Käfig sässest? Auch hier sei deshalb die Querverbindung zur veganen Tierrechtsbewegung erlaubt, zumal im Spiel Abe und Co. zugenähte Münder haben. Diese dadurch erschwerte Kommunikation untereinander könnte auf die Unfähigkeit der eingesperrten Nutztiere anspielen, sich in unserer (menschlichen) Sprache auszudrücken. Ausserdem zeigt es, dass eine dominierende Spezies auch nicht vor Gewalt zurückschreckt, um die unterdrückte Lebensform zum Schweigen zu bringen. Während wir also bei Sonic eine etwas hoffnungsvollere und optimistischere Sicht der Dinge hatten, haben wir es hier mit einer weitaus pessimistischeren, bedrohlicheren Betrachtungsweise zu tun. Auch im etwas unbekannteren Videospiel „ToeJam & Earl – Panic On Funkatron“ (der Name des Planeten spielt auf den empfehlenswerten Soundtrack des Videospiels in klassischer P-Funk-Manier an) haben wir es mit dem Menschen und seiner Schattenseiten zu tun, wenn auch nicht mehr in so finsterer, dafür eher humoristischer Art und Weise. Die beiden Protagonisten sind nämlich Bewohner eines anderen Planeten, welcher plötzlich von Menschen überrannt wird, welche Hardcore-Littering betreiben, in Bagger alles klein walzen wollen, als neugierige Touristen natürliche Lebensräume zerstören, aggressive Haustiere auf die Einwohner hetzen und generell einen negativen Impact auf das Ökosystem des Planeten und dessen Bevölkerung haben. Ziel des Spiels ist es deshalb, die Eindringlinge wieder zurück auf ihren Planeten zu schicken (komischerweise geschieht dies, indem man sie in Einmachgläser einfängt und dann via Katapult auf die Erde bugsiert), um damit den Status Quo der Natur wieder herzustellen. Man könnte nun natürlich darüber diskutieren, ob dies jetzt die ethischste Alternative sei, da wir ja aktuell in einer Zeit leben, in welcher ein grosser Teil der Menschheit Ausschaffung und Abgrenzung durch Zäune und Mauern als einzige Lösung sieht. Andererseits würde ich als „Alien“ (wobei eigentlich in jenem Fall die Menschen die „Aliens“ sind; weshalb dieses Wort ähnlich nichtsaussagend wie der Begriff „Ausländer“ ist - einfach quasi auf extraterrestrischer Ebene bescheuert) in dieser spezifischen Situation und in Anbetracht dessen, was die Erdenbewohner mit der Natur ihres Planeten anstellen, wohl die Menschen auch lieber wieder wegschicken wollen, als mich mit der Integration einer solch dominanten Spezies abzumühen (jaja, ich weiss, selber in die Speziesismus-Falle getappt: Check!). Sicherlich gäbe es noch mehr spannende Videospiele, welche man aus einem soziologischen, philosophischen, ethischen oder ökologischen Gesichtspunkt analysieren könnte. Dennoch sollte klar geworden sein, dass Videospiele stets ein zentraler Teil unserer Kultur und unseres Wertesystem gewesen sind (wir sprechen jetzt nicht unbedingt von den populäreren Baller- oder Sportspielen), und dass einige Spiele nicht nur technisch innovativ waren (Pokemon GO), sondern auch aus inhaltlichen Aspekten überraschten. Bleibt zu hoffen, dass es die Videospiele (und selbstverständlich weitaus wichtiger, da einflussreicher: Serien, Filme etc.) von morgen schaffen werden, unsere Gesellschaft und – damit verbunden – unsere Vorstellungen von Moral und Ethik positiv zu formen; so dass wir bald neben einem Igel als quasi veganen Tierrechtsaktivisten auch noch einen mit seinen vier bunten Gespenstern Polyamorie-praktizierenden Pacman als Gegenbild zur nicht zwingend funktionierenden Monogamie bestaunen können; oder einen an einer aufgrund Super-Mario-zentrierter Aufmerksamkeit schweren Depression leidenden Yoshi spielen können, der regelmässig seine Medikamente einsammeln muss oder sonst die Steuerung verweigert; oder wer würde nicht gerne Ala(d)din in einem Videospiel sehen, dessen Aufgabe es ist, das Volk von autokratischen, narzisstischen IS-Psychopathen im Nahen Osten zu befreien; oder wie wäre es schliesslich mit einer „Zelda“-Fortsetzung mit Link als Transgender-Held, dessen grösster Kampf es ist, mit seiner nicht-binären Geschlechtsidentität in einer heteronormativen Gesellschaft klarzukommen? (*Wären da nicht die späteren Auftritte des Igels in diversen TV-Serien, in welchen er Unmengen Burger und Hot Dogs frisst – ob es sich dabei allerdings womöglich um fleischlose Burger und Hot Dogs handelte, ist dem Autor dieses Beitrags nicht bekannt.)
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SaoiAebiLebenskünstler, Philosoph, Hobbykoch, Balkongärtner, Freelanceaktivist, Lehrer, Katzen- und Tierfreund, Spirituosenliebhaber, Melancholiker, Musiker, Gesellschaftskritiker, Mensch, Lebewesen, Materie. Oder so. Archives
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